Wohlfühl-Stadt

Gdansk, 14. 07. 14

Von Norden über Gdynia will ich nicht nach Gdansk rein fahren, weil ich dann kilometerlange häßliche und wenig radfreundliche Industrieanlagen, die alle irgendwie zum Hafen gehören, passieren muss. Aber genau da führt mich mein Navi dann doch durch. Zum Glück ist am Sonntag hier verkehrsmäßig gar nichts los. Und dann habe ich auch noch Glück, dass ich auf dieser Stecke durch den Stadtteil Wrzescz/Langfuhr komme, dem Geburts- und  Schulort von Günter Grass, in dem auch seine Blechtrommel spielt. Die Schule, dier er und Oscar Matzerath besucht haben, finde ich auch.

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Den Hauptbahnhof hab ich ins GPS eingegeben, denn dem Reiseführer nach kommt man von ihm aus in wenigen Schritten in die touristisch interessante Altstadt. Allerdings buche ich zuerst im ersten der berühmten Gebäude – dem Hohen Tor – in dem die Tourist-Information untergebracht ist  –  das GRYF- Hotel.

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Weil es nicht mal einen Kilometer entfernt liegt, will ich dann doch zuerst dorthin, um frisch geduscht und ohne Gepäck in die Stadt zu können. Doch welch eine unverhoffte Überraschung: Das Hotel liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der berühmten Danziger Leninwerft, gleich neben dem großen Solidarnoc-Denkmal und dem noch nicht fertigen neuen Solidarnoc-Komplex. Ein  wuchtiges mehrteiliges Stahl-Bauwerk in rost-rot-braun.

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Die Langlebigkeit, die von dem Material ausgeht, und in die wuchtige Stärke dieser Architektur passt gut zu der Botschaft, für die Solidarnoc steht – auch wenn die Gewerkschaft im heutigen Polen keine große politische Rolle mehr spielt. Die Symbolik des dreigliedrigen schlanken Denkmals mit Kreuzen und Ankern, das schon länger vor der Werft steht und den Opfern der Gewerkschaftsbewegung gewidmet ist, ist mir zu augenscheinlich und ausdrücklich christlich. Mit mehreren polnischen Besuchern spreche ich in den nächsten Tagen in Deutsch oder Englisch über den noch im Ausbau steckenden Solidarnoc-Komplex. In ihm sollen auch Kunstaustellungen, Konzerte, Kongresse und Kundgebungen stattfinden. Alle die ich spreche, fühlen oder denken ganz anders als ich über den roten Koloss. Allen sind die 40 Meter hohen Stahlkreuze heilig, der Stahlklotz aber zu massiv und zu unansehnlich. Er hat schon den Spitznamen „Red Bull“. Aber auch darin kommt genau das zum Ausdruck, was der Entwurf erwecken soll.

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Die Werft selbst scheint außer Betrieb zu sein. Von den ganzen Kränen und Aufzügen bewegt sich in drei Tagen keiner. Arbeiter kommen und gehen. Aber sie sind eher mit der Demontage bestimmter Werksteile beschäftigt als in der Produktion. Ein trauriges Bild – ähnlich in der Aussage wie die Innenhöfe der ehemaligen Werftarbeiter-Siedlung, in die ich hineinschauen kann vom Hotel aus. Nicht die wohnlichste Gegend Danzigs, aber eine geschichtsträchtige.

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Von der Danziger Altstadt kann ich nicht im einzelnen erzählen. Dazu sollte man besser einen Reiseführer heran ziehen.  Nach drei Tagen weiß ich aber sicher, dass in diesem wunderschönen Stadtteil mit all den sehenswerten historischen Gebäuden und den vielen gepflegten Privathäusern keine museale Besichtigungskultur herrscht, sondern  neben dem sicherlich publikumsstarken touristischen Treiben das ganz normale polnische Leben abgeht. Für viele Danziger gelingend, mit Arbeit, Freizeit, gutem Essen, viel Bier, in freundlicher Geschäftigkeit und  sich abfindender Gelassenheit mit nachbarschaftlicher Herzlichkeit und weitgehender Toleranz. Ich denke, für viele seiner Einwohner ist Danzig zu einer lebenswerten Stadt geworden, in der ich mich drei Tage so wohl fühlte wie selten in westeuropäischen Großstädten.

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Und die Stadt ist auch einfach unglaublich schön anzuschauen. Der Lange Markt ist ohne Zweifel eine der schönsten Stadt-Straßen, die man weltweit finden kann. Unter anderem hat das mit der Kriegs-Zerstörung zu tun bzw. mit dem klugen Wiederaufbau, bei dem man zwar alles möglichst originalgetreu wiederherzustellen versucht hat, aber gleichzeitig die Straßenbreiten und die Abstände der Häuserzeilen zueinander vergrößert hat gegenüber den engen mittelalterlichen Vorkriegsgassen. Eine Maßnahme, die sich augenscheinlich bewährt hat. Auffällig auch, dass man die Jahreszahlen der Renovierung oft an den Gebäuden neben der historischen Jahresszahl des eigentlichen Baus an vielen der so vielfältig ausgestalteten Giebelhäusern wiederfindet. „Klein-Amsterdam“  ist – vor allem an solchen Sonnentagen, wie ich sie erlebe – wärmer und fröhlicher als die niederländische Altstadt selbst. Die Tore, die Kirchen, die Gassen, die Speicherhäuser an der Mottlawa und, und, und…

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