Tararua – Wairapapa – Rimutaka
Wellington ist mein nächstes ‚großes‘ Ziel. Mit dem Rad nicht so einfach, zumindest nicht über wenige Highways, ohne Bus oder Bahn und mit möglichst viel Radspaß.
Nach langen Überlegungen zu Hause, Straßenkartensucherei, GPS-Planungen und mehreren Gesprächen hier vor Ort mit anderen Reiseradlern, werde ich vier Tage brauchen auf hoffentlich recht schönen Radstrecken.
Für das erste Teilstück am Montag bleibt keine andere Wah als der highway 3 nach Palmerston North. Wieder nach dem Motto: Nicht schön – also schnell durch! Dabei werde ich der Landschaft nicht gerecht, sie als nicht schön zu bezeichnen, nur weil eine viel befahrene Autostraße hindurch führt. Sie ist längst nicht so unangenehm zu fahren, da der Seitenstreifen breit genug bleibt. 80 km, 17 km/h, 450 m rauf, 420 m runter, 4:42 Std. (Daten für die Radfahrer).
Die Tararua Range ist ein bis zu 1500 m hoher Höhenzug, der sich zwischen Palmerston North und Wellington mir in den Weg legt. Seine westlichen Hänge laufen fast bis zum Meer aus. Durch diesen Korridor führt der SH 1 und der hauptsächliche Verkehr hindurch. Nichts für Reiseradler.
Deshalb fahre ich bereits ab Palmerston über einen „Sattel“ auf die östliche Seite des Tararua-Gebirges. Die Strecke heißt offiziell „Tararua Traverse“.
Ab Pahiatua bleib ich dann auf einer als Radstrecke ausgewiesenen beschaulichen Straße bis Alfredton. Dann folge ich der Route 52 durch das Whangaeru Valley bis Masterton. Die ist zwar etwas breiter, hat aber weniger Verkehr als Kievelberg. Allerdings gibt’s da auch keine derart großen Ortschaften. Auch nichts zu kaufen. Also Wasser und Proviant in Alfredton auffüllen.
Für die Radler: 106 km, 15,6 km/h, 863 m rauf, davon die ersten 440 Höhenmeter auf den ersten 18 km (bis zu 15% Steigung), 760 m runter, 6:50 Std. Den Zahlen kann man nicht entnehmen, welchen Spaß ich an diesem Dienstag habe. Um mich herum nur grüne Hügel, mal gelblich- beige verblichenes Gras, mal bläulich grüne Rüben, mal dunkel grüne Nadelbäume, mal silbrig raschelnde Pappeln. Das Zirpen der Grillen ist an manchen engen Böschungen störend laut. Vögel höre ich in der Hitze keine. Luftig weiße Wölkchen am blauen Himmel über mir, unter mir ein sich ständig auf und ab windendes Straßenband, das gelegentlich in der Hitze feucht schimmert. Nur ab und zu Autofahrer, die meist freundlich winken.
Morgens noch schön kühl ist es um 10 Uhr schon 28,5 ° C. Nachmittags um 14.30 gibt das Garmin 34,5 °C an. An manchen Stellen ist der Bitumen auf der Straße so weich, dass sich die Profilrillen meiner Marathon Reifen zusetzen, aber leider auch viele Steinchen und Splitstückchen daran kleben bleiben. Mit dem feinsten meiner Inbus-Schlüssel steche ich die Rillen wieder frei. Ne dicke Stunde brauche ich dafür. Willkommene Pause unter einem schattigen Ahorn. Um 17.30 Uhr schlag ich mein Zelt in Masterton auf, dusche und finde dann einen guten Italiener, bei dem ich nicht nur lecker essen, sondern auch zwei große Radler trinken kann – in neuseeländischen Restaurants eher ungewöhnlich.
Mittwoch morgen ist es spürbar kühler und windiger. Über die Abkühlung freue ich mich. Der ‚cycle-route‘ folge ich heute durch die Weinregion Wairarapa, die nach dem 80 qkm großen Lake Wairarapa benannt ist. Es soll hier ein guter Pinot Noir angebaut werden. Erst kurz vor Martinborough kommen die ersten bescheidenen Weinrebenhänge. Vorher sehe ich endlich Schafe in größeren Herden. Und Schäfer bei der Arbeit. Zwar immer noch nicht in Dornenvögel-Ausmaß, aber immerhin. Die Zahl der Schafe ist in Neuseeland in den letzten 50 Jahren von damals 80 Millionen auf heute 16 Millionen zurück gegangen, hab ich irgendwo gelesen.
Die ‚Te Whiti Road‘ bis Martinborough ist wieder ein Gedicht für Radfahrer. Sanft rauf und runter, leicht kurvig, mal schattig, mal sonnig, mal windgeschützt von steilen Hängen, mal offen im ab Mittag spürbaren Westwind.
Martinborough hat wieder diesen Südstaaten-Charme, nicht nur wegen dieses Hotels.
Bei einem Bike-Händler und -Verleiher, der selbst auch aktiv radelt, frag ich nochmal nach, ob ich mit meinem Rad den Rimutaka Trail morgen werde fahren können. „Easy!“ ist er sich sicher, weiß aber auch, dass ich einmal 200 m schieben werde, weil das Stück so steil ist. Und dass ich durch den ‚Cross Creek‘ besser absteige, weil da zu viele und zu rutschige Steine lägen. Danach ginge es fast autofrei auf Asphalt runter bis Wellington, bestätigt er. Sehr zufrieden ist er mit meiner Beleuchtung. Durch drei unbeleuchtete ehemalige Eisenbahntunnel muss ich nämlich. Mindestens bis Featherston empfiehlt er mir heute noch zu fahren. Dann hätte ich morgen nur noch ca. 70 bis zur Hauptstadt. Das mach ich dann auch. Die Tagesdaten: 66 km, 4:30 Std.,14,6 km/h, 381 m rauf, 409 m runter.
Rimutaka Range heißt der Gebirgszug, den ich heute auf dem gleichnamigen Trail überquere, um nicht über den Highway nach Wellington fahren zu müssen. „Easy“, sagte der Biker gestern, wäre die Strecke und böte „scenic views“. Bin mehr als gespannt, als ich um halb neun los fahre. MTB-Trails – auch wenn sie anderen leicht erscheinen – ich kann mich nicht darauf freuen. Zu viel Konzentration, zu viele Risiken, zu wenig Leichtigkeit. Vor allem Erfahrung und Technik fehlt mir im Gelände.
An solchen Bäumen vorbei führt der Radweg direkt neben der Western Lake Road zum Wairarapa See.
Zum Cross Creek führt ein schmaler, gut zu fahrender Trampelpfad, auf dem ich schon so früh einige Wanderer treffe.
Der eigentliche Trail folgt einer historischen Eisenbahntrasse zwischen dem Wairarapa Tal und Wellington, die 1955 auf anderer Linie durch einen neuen Tunnel abgekürzt wurde. Trotz grobem Schotter ist der Weg gut zu fahren, da er gleichmäßig mit höchstens 5 % ansteigt.
Auch die drei dunklen Tunnel stellen keine Hindernisse dar.
An einer von den Bahnarbeitern ‚Sibiria‘ genannten Stelle – weil dort häufig ein besonder kalter Wind weht – bläst er auch mir tüchtig entgegen. Wenige hundert Meter weiter steht eine Brückenpfeilerstumpf. Hier fehlt wohl ne Brücke über den Creek.
Ich steige lieber ab, wie der Biker gestern voraussagte. Höchstens 50 m geht es mir viel zu steil und zu schotterig runter zu einem Bach und auf der anderen Seite genauso schwer wieder rauf. Von wegen „hop off – hop on“ wie der Typ gestern meinte. Ich brauch inklusive Fotos bestimmt 20 Minuten an dieser Stelle.
Jetzt bin ich gleich im Summit-Tunnel (584 m) und danach ist wirklich erstmal alles easy : 10 km fester Kiesweg runter bis zu einem Autoparkplatz. Ab Kaitoke dann ruhige Nebenstraßen und kurze Schotterstücke runter bis Maymorn.
In Upper Hutt – etwa zur Hälfte der Strecke – ess ich bei einem Bäcker eine warme Pie. Der Wind – zum Glück von hinten – wird immer stärker. Einmal reißt er meine mit zwei Druckknöpfen an der Lenkertasche befestigte Klarsichthülle mit der Straßenkarte in den Graben. Dunkle drohende Wolken bringt er mit. In Lower Hut kommt ein warmer Platzregen runter. Ich bin jetzt auf dem River Hutt Cycleway, der mich rasch und autofrei nach Petone bringt. Der Regen und der Wind nehmen zu. Jetzt sind’s nur noch 20 km am Meer entlang, viele davon als Radweg sicher eingerüstet zwischen Eisenbahnlinie und Autobahn. Der Platzregen ufert aus zum Wolkenbruch. Unter einer Brücke warte ich vergeblich auf Nachlassen des Unwetters. Mir wird kalt in den nassen Klamotten. Weiter Richtung City Center. Bei den Lichtverhältnissen und den Pfützen auf Brille und GPS sehe ich nichts mehr, um mich zu orientieren. Zum Glück bin ich nicht der einzige Radfahrer auf dem Weg in die Stadt. Ausgerechnet wen frage ich? Ein trotz des Weltuntergangs um uns herum freundlich lächelnder Typ in Raddress auf einem ‚Giant‘ gravel-bike mit Zusatzlenker bringt mich bis zur Feuerwache. Dort zeigt er mir mein Hostel und erzählt kurz, dass er mit 600 Bikern ab 10. Februar das 3000 km Brevet – Tour Aotearoa – durch ganz Neuseeland von Cape Reinga nach Bluff in Angriff nimmt. Ich wünsche ihm viel Erfolg und bedanke mich rasch. Am ganzen Körper zitternd stehe ich tropfnass an der Rezeption der JH. Schnell mein Rad in den Radkäfig im 2., dann in mein Zimmer im 6. Stock. Schuhe aus und unter die warme Dusche. 77 km, 5:15 Std., 14,7 km/h, 829 m rauf, 828 m runter (!!), “ Easy“ hat gestern irgendeiner gesagt, ohne zu ahnen, was hier heute vom Himmel fiel.