Stil-Fragen

Salacgriva, 25. 07. 2014

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Riga –  „die europäische Hauptstadt  des Jugendstils“ (Zitat aus der Broschüre mit den 20 angesagten Sehenswürdigkeiten Rigas). Insgesamt rechnet man etwa 750 Gebäude in der City diesem Baustil zu.  Es gibt im Stadtplan gleich einen ganzen „Art Nouveau District“ – in direkter Nachbarschaft zur Altstadt.  Aber auch in anderen Stadtteilen sehe ich mehrstöckige Häuser und Villen aus dieser Zeit. Nicht alle sind so opulent geschmückt mit Figuren, floralen Ornamenten und Girlanden wie die des berühmten Architekten Eisenstein. Vor dessen Häusern in der Elizabetes-  und der Alberta Straße treffen sich täglich hunderte von Touristen aus der ganzen Welt in geführten Gruppen. Oder mit ihren Reiseführern unter der Nase. Auch ich habe den Lonely Planet offen auf der Lenkertasche liegn. Das Jugendstil-Museum spare ich mir aber, obwohl es vor allem dem Interieur und den Bildern dieser Zeit gewidmet ist, wovon man von außen ja nichts sieht.

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Zwischen diesen prächtigen Straßen und der Altstadt verläuft ein gerade an diesen heißen Tagen angenehmer ruhiger Parkstreifen entlangeines Kanals, der früher die Festung Riga auf der Landseite geschützt hat. Zwischen ihm und der Daugava liegt die recht kleine Altstadt, die aber eine Vielzahl kleiner Sträßchen  und auffallend schöne Gilde-Häuser mit aufwändigen Renaissance-Fassaden vorzeigt. Überragend ist das Schwarzhäupterhaus. Fast alle historischen Gebäude Rigas waren 1945 zerstört. Sie sind erst recht spät, manche erst nach der Unabhängigkeit Lettlands restauriert worden.

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Die Altstadt ist mir zu voll gepfropft mit Straßencafés, Sonnenschirmen, Blumenkübeln und Steinskulpturen. Überall Korbstühle, ausladende Sofas, Stehtische oder Bistrotischchen. Mir passt auch nicht, dass die Musik vieler Restaurants und Kneipen auf die Straße plärrt. Anscheinend laufen in Riga gehobene Fastfood-Läden, die mit Naturprodukten und vegetarischen Gerichten werben, besonders gut. Daneben gibts von „Kebab“-Buden bis zum „Tinto“, ein gehobenes Restaurant, das Weine aus 16 Ländern der Erde anbietet, jede Art von Esslokal. Je später der Abend um so lauter und härter wird der Sound, der aus den Kneipen dringt. Schon vor 22.00 Uhr hab ich genug und verzieh mich auf meinen ruhigen Zeltplatz auf der Insel Kipsala.

 

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Auf der Insel besuche ich am zweiten Tag das „Janis Lipke-Memorial“. Ein  von der Architektur her besonders gelungener, bescheidener  Museumsbau aus Holz. Es gelingt ihm mit seiner Form und Gestaltung, insbesondere dem Licht-Design, das Museums-Thema zu unterstützen: Janis Lipke war ein ganz einfacher lettischer Arbeiter, der zusammen mit seiner Frau Johanna zwischen 41 und 45 zig Juden vor den Nazis rettete, in dem er ihnen Unterschlupf bot in seinem Keller, später sogar einen Bunker für sie baute. Als es in der Stadt zu gefährlich wurde, versteckte er sie in und unter einem Holzschuppen auf Kipsala etwa dort, wo jetzt aus einer privaten Initiative heraus dieses kleine eindrucksvolle, bedrückende Museum entstanden ist. Die gesamte Ausstellung von Fotos, Zeichnungen, Dokumenten und Briefen wird in Lichtschächten präsentiert, während der Besucher sich immer im fast schwarzen Dunkel des Holzgebäudes bewegt. In der Mitte des Gebäudes ein quadratischer besonderes tiefer Schacht, an dessen Boden, das Video eines längeren Interviews mit Johanna Lipke läuft, in dem sie die ganzen  Ereignisse der Kriegsjahre erzählt. Sie berichtet aber auch von den vielen Untersuchungen und Befragungen, die ihr Mann noch unter den Sowjets über sich ergehen lassen musste, weil sie ihm nicht trauten. Sie vermuteten geheimdienstliche Verbindungen und vor allem erhebliche finanzielle Zuwendungen der Juden an Lipke. Dabei war dieser nur ein einfacher guter Mensch, der aus Nächstenliebe handelte. Auf die Frage, wie viele Juden er wohl gerettet habe in den Jahren, antwortete er: „Ich hab sie nicht gezählt. Ich musste ihnen helfen.“

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Ein anderes bedrückendes Museum ist das „KGB-Museum“, wie die Rigaer es nennen, offiziell das „Museum der lettischen Okkupation“, das im ehemaligen Gebäude des KGB eingerichtet wurde. Hier findet man unzählige Zeugnisse all der Verbrechen, die während derSowjet-Zeit an Letten begangen wurden,  – in erheblich kleinerem Rahmen – auch die der Nazis.

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Auf meiner Museums-tourwill ich noch das Lettische Nationale Kunstmuseum anschauen. Im von außen besonders schönen  Bau  – Jugendstil mit klassizistischen Elementen –  werden die bekanntesten lettischen Maler ausgestellt. Aber das Museum ist bis 2015 geschlossen wegen grundlegender Renovierung. Als Trost sozusagen für die enttäuschten Besucher hat man am Bauzaun großformatige Reproduktionen der wichtigsten Bilder aufgehängt. Da hab ich mir die halt angesehen. Ich war schon froh, dass ich so schneller fertig war als gedacht.

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In direkter Nachbarschaft zu dem Kunstmuseum liegt die orthodoxe Christi-Geburt-Kathedrale. Das ganze Gold außen wie innen, all die Kerzen, die dunklen Ikonen, die stille Frömmigkeit der vielen „Mütterchen“ mit Kopftuch und langen Röcken sowie die strenge Würde der bärtigen Priester in den langen Talaren, die mich in den längeren Shorts durch gehen lassen, andere unpassend gekleidete Besucher aber zurückweisen. Dass alle Frauen eins der bereit liegenden Kopftücher tragen müssen, darauf brauchen sie nicht mehr hinzuweisen. Eine andere Welt nur wenige Meter vom quirligen Riga entfernt.