Spitzen-Preis
Kolka, 18. 08. 2014
Durch den Ort Kolka muss ich noch hindurch, um nach 1,5 km am Kap anzukommen. Ich kann bei beginnendem Regen noch die Landspitze und das Monument fotografieren. Ganz unsentimental schiebe ich mein Rad einfach in die Lücke zwischen die Gedenksteine, auf denen in Lettisch eingemeißelt wurde: Für alle, die uns das Meer genommen hat. An diesem Kap sollen wegen der unberechenbaren Strömungen sehr viele Seeleute aber auch Badegäste umgekommen sein. Deshalb ist auch in einer kilometerbreiten Zone inzwischen Baden verboten.
Jetzt bricht das schiere Unwetter über mich und die anderen Besucher herein: schnell aufeinander folgende Blitze, krachende Donner, böiger Sturm, nicht enden wollender Starkregen.
Zum Glück gibt’s ein kleines Restaurant in einem Zelt, dessen Dach aber nur 10 Gästen an Tischen Schutz bietet. Alle sind schon besetzt. Unter dem Metalldach der dampfenden und rauchenden rustikalen Außenküche, in der eine Frau Würste grillt, Fleischklöße brät, Suppe und einen Möhren-Kartoffel-Eintopf kocht, hat nur die Köchin selbst Platz. Wenn ein bestelltes Gericht fertig ist, telefoniert sie mit der jungen Bedienung des höchstens 20 Schritte entfernten Zelt-Restaurants, die dann auf schlüpfrigen Stoffschühchen mit Schirm durch den Regen tippelt und der auf dem glitschigen Rückweg die Buletten auf dem nassen Tablett vom Teller rutschen und die Suppe überschwappt. Bei dem Wetter verzeihen die Gäste ihr das.
Das alles beobachte ich aus dem Souvenir-Laden nebenan, in dem mit mir noch zwei deutsche Paare Unterschlupf gefunden haben. Wir dürfen die Heizkörperverkleidung sogar als Sitzgelegenheit nutzen. Mehr als eine Stunde warte ich hier vergeblich darauf, dass es aufhört zu regnen. Dabei kann ich auch den Wegweiser genauer anschauen, dem ich entnehme, dass ich vor fünf Tagen auf Saaremaa nur 38 km von diesem Kap entfernt war. Um hier hin zu kommen musste ich nicht nur 380 km radeln, sondern auch noch 175 km mit dem Bus fahren.
Unterkühlt mache ich mich trotz Regen auf den Weg zurück nach Kolka, wo ich vorhin im Vorbeifahren ein „Hostel“ gesehen habe. Ans Zelten ist nicht zu denken. Die Gastwirtin mustert mich triefenden gelb-schwarzen Regengeist von oben herab, als ich an ihrem Hintereingang klopfe. Sie ist nicht begeistert von meiner Anfrage, bringt es aber auch nicht fertig, mich bei dem Hundewetter wieder weg zu schicken. Aber dann muss sich das wenigstens lohnen, denkt sie wohl. Sie habe nur Doppelzimmer mit Etagendusche/WC in ihrer Pension. Ich müsse leider den Zimmerpreis von 45 Euro für die Nacht zahlen. Das Frühstück koste noch mal 7 €. Gleichzeitig bittet sie mich eindringlich, wenn ich das Zimmer nähme, das zweite Bett nicht zu berühren. „Please, don’t touch the blanket!“ sagt sie mehrmals. Sonst müsse Linda, ihre Hilfe, die das Regenwasser literweise mit einem weichen Besen von der Küchenterrasse fegt, nicht nur das Zimmer reinigen, sondern auch noch das zweite Bett neu beziehen. Ich biete ihr an, auf meiner Luftmatratze im Schlafsack zu schlafen und dann weniger zu zahlen. Darauf lässt sie sich nicht ein, sondern hält mir in recht kritischem Ton vor, dass mir eine gute Nacht in einem richtigen Bett ein bisschen mehr Geld wert sein sollte. Daraufhin habe ich den Mut ihr zu sagen, dass 45 € für ein Zimmer mit Etagendusche in Kolka nicht ein bissschen mehr sondern viel Geld sei. In Riga,Tallinn selbst in St. Petersburg hätte ich so viel nicht zu zahlen brauchen. Sie merkt, dass ich weiter fahren will trotz Regen. Da meint sie, wenn noch ein Gast käme und mit mir das Zimmer teilen würde, bräuchte jeder nur 25 zu zahlen. Aber dann müsse sie beide „blankets“ waschen, erwidere ich, ohne darauf einzugehen, dass ihr Zimmerpreis ja eigentlich bei 45 und nicht bei 50 € liegt. „Okay 40 €“, meint sie und das Frühstück mit Omelette und Bratwürstchen bekäme ich für 5 €. Weil mir inzwischen ganz schön kalt und alles egal geworden ist, willige ich ein. Das Zimmer ist ganz neu eingerichtet alles in rustikaler Kiefer. Das Bad teile ich mir nur mit einer jungen Familie mit Baby. Wi-fi gibt’s auch. Dann kann ichmal nachschauen, wann welche Fähren von Ventspils abfahren und am Tagebuch schreiben. Aber über Geld wollte ich eigentlich kein Wort mehr verlieren.