Sonn-Tag

Abragciems, 17. 08. 2014

Die Sonne lacht vom hellblauen Himmel. Solange mein Zelt trocknet, frühstücke ich und schreibe am Tagebuch. Ab halb elf rolle ich gemütlich über den innerstädtischen Radweg von Riga nach Jurmala. Das ist der eher mondäne Bade-Vorort Rigas. Der Stand dort ist wirklich schön.

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Bei dem schönen Wetter sind schon viele Jogger und Spaziergänger unterwegs. Viele junge Familien mit Kindern und Paare schlendern  an den großen Hotels vorbei, von denen manche Betonklötze noch aus sowjetischer Zeit stammen. Da sind die alten Holzvillen, die schon seit  hundert Jahren als  Sommerhäuser den Eigentümern oder Gästen einen angenehmen Aufenthalt  bieten, deutlich attraktiver.

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Aber auch die neueren, die fast alle trotz Meerblick von großzügigen Gärten umgeben sind. Die modernen ineinander verschachtelten Kuben mit großen Glasflächen, Dachterrassen und Verkleidungen aus Teakholz gefallen mir am besten. Manchmal liegen sie kontrastreich direkt neben älteren kleinen Holzhäusern, deren Grundstücke noch nicht verkauft wurden.

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Angeblich gehören alle teuren Häuser in Jurmela fast ausschließlich Russen. Die Kennzeichen der davor parkenden Autos lassen nicht darauf schließen. Aber in der Fußgängerzone und in dem Café, in dem ich mein zweites Frühstück nehme, höre ich nur Russisch. Der Ort zieht sich unglaubliche 30 km am Strand entlang. Die weiter nordwestlich liegenden Stadtteile, in denen der Kiefernwald bis an den Strand reicht, sind wohl die begehrtesten bei den Reichen und Superreichen Lettlands, auch oder gerade weil man von hier bis zu der Flaniermeile einige Kilometer zurück legen muss und dem Sommertrubel fern bleiben kann.

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Auf dem jetzt vor mir liegenden Weg um das Kap Kolka, der nördlichen Spitze Kurlands, herum werde ich  in den nächsten Tagen den längsten Strand Europas erradeln – damit wirbt „Kurzeme-Tourisme“ zumindest. Auf dieser östlichen Seite Kurlands genieße ich heute über 80 km unter blauem Himmel und warmer Sonne eine von nur wenigen Touristen befahrene Landstraße durch eine trockene Dünenlandschaft. Violette Heide, die zu blühen anfängt, Blaubeersträucher, die sich rot verfärben und gelbgrün-gräulichen Moose bilden zusammen einen farbigen Spätsommer-Teppich. Dazwischen wieder auffällig geformtes totes Holz.

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Viele einheimische Sammler mit Eimern voller Pfifferlinge gehen zu ihren am Waldrand parkenden Autos. In flottem Tempo rolle ich wegen des günstigen Windes durch  kleine verträumte Dörfer, die alle direkt am Meer liegen. Sandstrände öffnen sich immer wieder, kleine Häfen – wie außer Betrieb – schlafen daneben.

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Ein britisches Radlerpaar hole ich ein. Richtung Riga kommen mir aber ungewöhnlich viele Reiseradler entgegen, die alle tüchtig strampeln müssen gegen den steifen Wind. Da kann ich mir ja schon ausmalen, was mir morgen oder übermorgen auf der anderen Seite des Kaps bevorsteht. Der quälende Blick auf einen missverstandenen Familien-Radurlaub bietet sich mir wenig später: Vater vorne im Wind zieht den vollem Anhänger. Fünf Meter dahinter zieht Mutter mit zwei Gepäcktaschen an einem um ihre Sattelstütze laufenden etwa drei Meter langen Seil, die ca. 10 jährige missmutige Tochter, an deren Rad das Seil um das Steuerrohr führt, und an deren Träger auch zwei Packtaschen hängen. Was die ganze Abschlepp-Aktion bringt, wenn das Seil ohnehin durchhängt, ist mir nicht klar. Aber der Miene des Mädchens nach, wäre sie ohne Seil wahrscheinlich längst abgestiegen. Saskias und vor allem Saras Vorwürfe an meine Adresse ob ähnlicher Schindereien in ihren Kinderjahren klingen mir in den Ohren.

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Heute ist alles leicht. Ich könnte noch lange weiter fahren. Aber rasch fasse ich den Entschluss auf dem direkt am Sandstrand gelegenen Campingplatz „Abragciems“ zu übernachten, wieder mal als einziger Zeltgast. Einen schöneren, gepflegteren und besser ausgestatteten Platz habe ich auf dieser Reise noch nicht gefunden. Alles ist einfach top! Von den anscheinend neuen Vierbetthütten in moderner Holzbauweise sind nur zwei von Familien mit Kindern belegt. In die beiden älteren größeren Holzhäuser zieht am späten Nachmittag eine Gruppe von ca. 15 Kindern mit Behinderung und deren Betreuer ein. Sie verbringen hier eine einwöchige Ferienmaßnahme. Zum ersten Mal  scheinen sie nicht da zu sein, denn viele bewegen sich auf dem Gelände sehr selbstverständlich. Ihr Abendessen wird vom Camping-Restaurant als Büffet auf der Terrasse aufgebaut. Auch ich esse noch eine Suppe und ein halbes Hähnchen. Mir gefällt es so gut hier, dass ich mich entschließe morgen hier einen Ruhetag einzulegen.