SCHMERZ HAFT
Der von den bauern in Dagküplü befürchtete regen bleibt aus. Es ist wieder tolles radwetter. Nicht einmal der wind stört hier auf der höhe. Mein knie schmerzt im laufe des tages aber immer mehr. Wir sind jetzt auf einer hochebene, auf der wir mehrmals kilometerlange unbefestigte holprige wege nehmen müssen. die abfahrten sind manchmal so unsicher, dass wir unsere helme anziehen.
Von bären und schlangen haben die männer gestern abend erzählt. Mir machen die anstiege und mein knie mehr sorgen. Ich kann mich über den tag retten, weil Markus immer wieder wartet. Einmal bei zwei schafhirten, die ihn an ihrem kleinen feuer zu tee, frischem schafskäse und brot einladen. Auch ich bekomme etwas ab. Abends zelten wir in einer senke mitten im feld in der nähe einer viehtränke. Der sternenhimmel über uns verkündet wieder strahlendes wetter, mein heißes, geschwollenes knie aber unheil.
Nach acht kilometern erreichen wir am nächsten morgen die vierspurige straße nr. 200 nach Ankara. Mit starkem rückenwind fliegen wir über die wellige strecke. Es ist sonntag und recht wenig lkw-verkehr. Markus packt der geschwindigkeitsrausch. Mit 75 km/h segelt er die abfahrten hinunter. Da kann ich trotz Markus‘ Voltarensalbe mit dem schmerzenden knie nicht mit halten. Auch bei dem tempo nehmen wir uns die zeit, die endlos gerade straße in der unendlich weiten landschaft immer wieder zu fotografieren. 125 km schaffen wir, bis wir in Gordion ankommen. Auch hier gibt’s wieder neben dem museum und der grabstätte des könig Midas den offenen schlafplatz für gäste. Diesmal in einer kleinen holzhütte. Ein perfektes nachtlager für uns in mitten von blühenden zinnien.
Als ich am morgen im laden brot hole und dabei die auf den bus wartenden schulkinder in ihren uniformen zwischen einer gänseschar sehe, kommt das ganze glück dieser reise wieder in mir hoch. Ich kann nur immer wieder danke sagen für diese einmaligen eindrücke.
Dabei schmerzt mein knie jetzt so sehr, dass ich schon ahne, nicht weiter fahren zu können, ohne die ganze reise zu gefährden. Hier in der nähe Ankaras habe ich noch alle möglichkeiten: ärzte, krankenhäuser, zug und bus. Ich werde mich entscheiden müssen, wie ich weiter fahre. Radeln ohne etwas gegen die schmerzen im knie zu unternehmen, wäre unverantwortlich.
Bis Polatli muss ich durchhalten. Ein glück, denn es sind eindruckvolle 20 km, auf denen wir mehrere zeltdörfer von anatolischen wanderarbeitern sehen, die hier in der zwiebelernte helfen. Bunte wäscheleinen im wind, wehende zelte in der endlosen weite, golden durchwebten lange gewänder der frauen, grelle kopftücher der mädchen und überall die roten zwiebelsäcke. Bilder die in mir endlich klar machen: Du bist in Zentral-Anatolien. Du radelst durch Asien! Ich genieße diesen vorgeschmack auf Kirgisien, erinnere mich andie landschaften in mongolischen filmen. Das darf ich nicht auf spiel setzen.
In Polatli steige ich schweren herzens in den bus nach Ankara. Markus radelt wieder alleine weiter. Mit nassen augen nehme ich einem fensterplatz, nachdem ich mein rad in den kofferraum eingeladen habe.