Rad-Paradies
Narva, 30- 07. 2014
Wenn Litauen mir wie das Traumland für Radfahrer vorgekommen ist, muss ich für Estland eine Steigerung finden. Rad-Paradies?! Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass ich in Estland oft und zusammen sicher über 250 km Kilometer auf ganz normalen öffentlichen Straßen gefahren bin und dennoch kaum auf Auto-Verkehr zu achten hatte. So herrlich die naturnahen und autofreien Radwege Litauens auch sind. Vom Aussehen und dem Leben in den Orten bekommt man nur etwas mit, wenn man sie verlässt. Die Dorf- und Nebenstraßen in Estland sind gut in Schuss. Es fahren dennoch wenige Autos dort.
Da wären spezielle Radwege Verschwendung. Ich freu mich darüber, weil ich mich auf Straßen näher am Menschen, näher am Alltag fühle. Wo der Verkehr doch stärker ist – in Stadtnähe, an Hauptverkehrswegen, in größeren Ortschaften – da sind dann schon Radwege vorhanden, so dass Radfahrer auch hier sicher unterwegs sind.
Aber die Sicherheit ist nur ein erster Aspekt, viele andere lassen sich für das Radparadies Estland aufzählen:
Radrouten sind in Estland durchgehend ausgeschildert, manchmal gar mit Alternativen. Geradeaus gehts auf der Straße weiter, links ab gehts in einen Waldweg.
Estland ist flach – wenn man mal vom Domberg in Tallin und den Abbruch-Klippen an der nordöstlichen Küste absieht.
In Estland sind noch längst nicht alle Alleen dem Autoverkehr geopfert worden.
Viele estnische Dörfer sind von der Landflucht gezeichnet. Ländliche Regionen wirken oft verlassen sind deswegen aber auch so entspannt zu erradeln.
Neben traditionellen alten Holzhäusern entstehen auf dem Land auch neue moderne Häuser aus dem reichlich vorhandenen Holz. In der Stadt klotzen neue großzügige Villen neben maroden Villen aus dem vorigen Jahrhundert. Estland lässt Geschichte im Vorbeiradeln erleben.
Estland hat viel Wald, darum führen viele Straßen durch schattige Laub oder lichte wohlriechende Nadelwälder. In den großen Wäldern gibt’s noch viel Wild, sogar Bären und Elche, Luchse und Hirsche. Keine große Gefahr für Radfahrer. Ich habe nur überfahrene Füchse, Marder und Igel am Straßenrand gesehen. Die dünnbesiedelten Naturparks Estlands sind Rückzugs- und Durchzugsgebiete für viele Vogelarten. Störche gehören ins normale estnische Straßenbild.
In den Städten einkaufen und unterkommen muss man planen. Fisch gibts aber fast überall.
Estland ist wasserreich – Bäche gluckern über dicke Steine, auf größeren Flüssen fahren Ausflugsboote, Teiche und Seen in Dörfern und Wäldern ruhen vor sich hin oder laden zum Schwimmen und Spielen ein. Estland hat mehr als nur Radfahren zu bieten.
Der Küstenradweg führt in Estland immer wieder an herrliche, mal einsame, mal viel besuchte Strände, mal steinig, mal sandig, mal schlammig seicht, selten unzugänglich steil. Ein kühles Bad macht Radlerbeine wieder frisch.
Trotz jahrzehntelanger staatlicher Kirchenfeindlichkeit, gibt’s viele religiöse Esten und lebendige Kirchengemeinden aber auch viele leer stehenden Gotteshäuser. Herrliche Pausenplätze für Radler.
In Estland gibt’s prächtige Herrenhäuser, ehemalige Landsitze des (deutschen) Adels. Einige sind zu Hotels oder Besucherzentren umfunktioniert worden.
In jeder estnischen Gemeinde gibt es ein Museum. Es gibt also immer was zu sehen.
In Estland fahren viele Menschen mit dem Rad. Ich habe nur freundliche und hilfsbereite getroffen.
Die estnische Sprache finde ich vom Klangbild der vielen Vokale wegen amüsant. Den (platt-) deutschen Überbleibseln, stehen die weit aus zahlreicheren finnischen und nicht zu erschließenden estnischen Wörter gegenüber. Mit vielen Esten kann man sich auf Englisch verständigen. Die Kommunikation mit den übrigen finde ich auch reizvoll.
Und der Himmel über Estland ist so hoch.
Reichlich Argumente für den nächsten Radurlaub in Estland.