OFFENES LAND
Esfahan, 06-03-2009
So ein kaltes sonniges winterwetter liebe ich nach den sieben sommermonaten, die ich auf meiner reise erlebt habe. Mein vater nannte solche klaren kalten hochdrucklagen ‚offenes wetter‘.
Über die lange radhose ziehe ich noch eine weite hose, weil so eng anliegende kleidung für viele hier ungewohnt ist. Bis nachmittags trage ich auch über die beiden langarmtrikots noch eine windstopperjacke. Goretex-handschuhe, neopren-überschuhe und die fleece-mütze unterm helm halten mich rundum warm. Zum glück kann ich zur zeit gleich morgens nach dem frühstück meinen toilettengang erfolgreich abschließen. Wenn ich so verpackt draußen irgendwo müsste….
Zunächst geht’s zwanzig kilometer stufenweise höher. Auf ihrem höchsten punkt biegt die straße um 30° westwärts. Dann rolle ich mehrere kilometer runter. Da bläst er dann wieder. Mein freund, der wind. Diesmal mit dicken backen und mir genau ins gesicht. Als kalter, steifer nordwest lässt er innerhalb weniger hundert meter meine geschwindigkeit auf 14 km/h sinken und meine körpertemperatur um einige grade steigen. Er hat hier auf dem lang gestreckten plateau freies spiel. Schutzlos bin ich ihm ausgeliefert in diesem offenen land.
Er wird mir zwei tage auf 200 km das vorwärtskommen schwer machen. Meine gute laune kann er aber nicht trüben. Und am dritten tag auf den letzten 80 km verleiht er mir dann wieder flügel.
Die drei tage bis Esfahan sind reine erholung für mich. Die straße ist vierspurig, meist flach und im guten zustand. Mir reicht der etwa einen meter breite seitenstreifen. Nur wenn ich zu viel kies, glas oder schlaglöcher vor mir sehe, traue ich mich auf die fahrbahn.
Westlich von mir stets schneebedeckte riesen bis zu 3000 m hoch. Östlich von mir brauner nackter fels. Nur wenige hundert meter höher als die dürre steppe, die sie umgibt.
Einsam ist es hier. Am zweiten tag komme ich auf 105 km durch drei ortschaften. Zwei davon sind ehemals reine lehmdörfer gewesen, ähnlich denen, die ich in der ägyptischen wüste gesehen habe. Viele der erdig braunen kuben werden inzwischen nur noch als viehstall benutzt. Schafe, wenige ziegen und ein paar esel sehe ich. Kaum menschen.
Auf der straße donnern viele lkw vorbei. Häufig sehe ich riesige veraltete ‚Macks‘ mit überlangen auflegern, die besonders sperrige oder schwere güter transportieren.
Wenn lkw mit hohen aufbauten nahe an mir vorbei fahren, fühle ich deutlich deren sog. Gar nicht unangenehm dieses lkw-surfen bei dem gegenwind. Aber wenn der sog wegfällt, steuere ich mehrfach zu spät gegen und lande im schotter.
Immer stärker seitlich bläst der wind. Die fetten taschen bieten ihm große angriffsflächen. In einer kurzen abfahrt überschreite ich die 40 km/h. Da packt mich ein windstoß. Ich versuche den schlenker noch abzufangen. Lande aber im graben. Mein hinterrad rutscht im losen kies weg und schlägt seitlich auf. Ich stehe gegrätscht über meinem rad. Nichts ist mir passiert. Nur eine speiche am hinterrad ist hin. Meine erste seit jahren. Zum glück an der linken flansch. Dennoch brauche ich 40 minuten, ehe ich die passende speiche gefunden, montiert, das rad gerichtet und wieder alles verstaut habe. Danach ist mein verschwitzter oberkörper ganz schön ausgekühlt. Aber im fast verloren geglaubten spiel mit meinem freund erreiche ich rasch wieder eine angenehme betriebstemperatur und spät aber glücklich meinen zielort.
Immer noch hupt und winkt etwa jeder dritte autofahrer. Trucker manchmal so nah und laut oder schrill pfeifend, dass meine ohren schmerzen. Pkwfahrer rollen langsam neben mir her, rufen mir was zu oder halten gar an, um kurz mit mir zu reden. Beifahrer strecken mehrfach beide arme aus dem seitenfenster und applaudieren.
In einem piepkleinen verlassen wirkenden lehmdorf fotografiere ich die aus gelben tonziegel gemauerte kuppel der moschee. Sofort kommen vier männer zu mir ans rad, um zu fragen, woher ich bin, wohin ich möchte, warum ich den Iran besuche…. Oft laufen diese kurzen gespräche ähnlich, schwerfällig und floskelhaft ab. Aber immer wieder treffe ich menschen, die sich mit mir austauschen wollen, die froh sind mal einen ausländer sprechen zu können, gerne ihre englisch-kenntnisse anwenden, meine sicht vom Iran kennen lernen und ihre erklären wollen. Einige dieser ganz offen mit mir sprechenden menschen geben mir zu denken und verändern meinen blickwinkel.
Am dritten morgen auf dem weg aus Shareza heraus begegne ich wieder solchen spontanen Iranern. An einer ampelkreuzung mitten im ort, an der ich bei rot stehen bleibe, hält ein junger mann auf der querstraße verkehrs-behindernd an. Ein polizist ermahnt ihn sofort weiter zu fahren. Trotzdem steigt der gut gekleidete mann aus seinem rostigen Saipa und erklärt dem polizisten, was er vor hat. Dann kommt er zu mir gelaufen und bittet mich etwas übereifrig, ihm zu folgen zu einem museum. Weil ich heute zeitig in Esfahan sein will, möchte ich mich nicht aufhalten lassen. Aber der nette kerl verspricht mir so überzeugend, dass ich nur fünf minuten verlieren würde. Ich folge ihm ins gebäude der stadtverwaltung, wo filigrane holzsägearbeiten einheimischer künstler ausgestellt sind. Meist religiöse arabische texte oder verse persischer dichter. Dazu die holzmodelle des glockenturms von Medina und des schiffsartigen grabmals des imman Hossein im Irak. Sicherlich handwerklich meisterliche arbeiten. Aber mir gefällt so was nicht besonders.