KLEIN STADT

Kesan, 16. 04. 09

Eine strecke zweimal fahren, das mag ich nicht. Aus Cesme kann ich aber nur wieder zurück nach Izmir oder mit einer fähre auf die griechische Insel Chios. Zurück dann aber über die autobahn. Fahrräder sind dort zwar verboten. Die E 87 hat jedoch eine menge vorteile gegenüber der küstenstraße: sie ist weniger dem seewind ausgesetzt, weil sie mehr im landesinneren verläuft. Sie hat zwar längere aber flachere anstiege. Der asfalt ist viel glatter. Sie ist wegen ihrer direkten trassenführung gut fünf km kürzer.

Dementprechend schnell und entspannt sitze ich am ostersonntag mittags um eins schon in Izmir in einem café und telefoniere mit meinen mädchen. Die hafenstadt ist die dritt größte der Türkei. 2,7 millionen einwohner. Izmir is mir zu groß, zu bergig und auch am sonntag zu verkehrsreich, um in angemessener zeit mit dem rad erkundet zu werden. Izmir is mir heute egal.

Nach der mittagspause radle ich weiter. Immer an der küstenlinie entlang, so weit  hafenbecken, betriebsanlagen und parks das  erlauben. Insgesamt mache ich einen bogen von 34 km durch Izmir, bis ich auf der nördlichen buchtseite die stadt wieder verlasse.

In Menemen – einer unscheinbaren aber anscheinend typischen kleinstadt mit markt- platz nahe der moschee, polizeiposten, krankenhaus, vielen kleinen läden und gaststätten, bin ich nach 120 km ziemlich müde. Erst nach einigem hin und her finde ich im zur stadt passend unauffälligen „Otel Orkide“ ein sehr einfaches zimmer.

Das städtchen lebt, merke ich abends beim essen. Frauen und kinder kaufen ein. Sesamkringel, gebackene muscheln, gemüse und obst werden auf der straße verkauft. Jungs reparieren ein moped. Mindestens sechs männer schauen zu. Taxifahrer plaudern mit den polizisten. Der schuhputzer hat kundschaft. Mit pferd und wagen wird metall- und kunststoff-schrott eingesammelt. Die cafés und teestuben sind gut besetzt. Der teeverkäufer läuft zwischendurch noch mit zwei, drei gläschen tee auf dem tablett zu seiner stammkundschaft. In den restaurants und grillstuben ist wenig los. Auf den bürgersteigen sitzen, spielen, trinken und essen die Menemener.

Burhaniye, Enzine und Kecan sind ähnlich unspektakuläre, aber lebendige städtchen. Dort schlafe ich in den nächsten tagen. Sie liegen auch in küstennähe. Haben berühmte nachbarn: Pergamon, Assos und Troja. Kriegen aber vom fremdenverkehr nur die durchfahrenden busse mit. Alles wie gestern, stelle ich jeweils abends fest: die moschee, die hotels, die häuser, die menschen: schlicht, bescheiden, zweckmäßig, freundlich. Sie leben ihren türkischen alltag: einfach, gelassen, miteinander, lebenswert.

Weder der elektriker, der mir am montag morgen in Menenem das gerissene kabel des Nabakula repariert, noch der schuster, der mir das klettband an meinen überschuhen fest näht,  nehmen geld für ihre arbeit. Sogar der beinamputierte rollstuhlfahrer, der in Burhaniye vor dem hotel gleich neben dem eingang des vielbesuchten wettbüros bettelt, winkt mir am nächsten morgen wie einem alten bekannten hinterher:“Güle güle!“ Dabei habe ich ihm gestern nur ein paar Kurus in die schachtel geworfen.

Überall werde ich bedient wie ein ganz besonderer gast. Mein tisch wird noch mal mit dem feuchten tuch abgewischt. Auf meinen platz legt der kellner ein frisches papierset aus. Mir stellt er pfeffer, salz, öl und zitrone hin. Brot und eingelegte peperoni bringt er mir eiliger als den anderen gästen. Mineralwasser in der pet-flasche bekomme ich. Die türkischen gäste trinken leitungswasser aus dem glaskrug.

Am warm-halte-büffet kann ich aussuchen, was ich essen möchte. Verschiedene kleine portionen nehme ich jeweils. Ich probiere halt gerne was aus. Aber ich habe auch großen hunger abends. Zum schluss habe ich dann bis zu sieben, acht kleine teller vor mir. Grüne bohnen mit joghurt, tomaten-zwiebeln-paprika-petersilie-salat, cacik (zaziki), gefüllter rollbraten, güvec (lammfleisch-eintopf), kartoffelpürree, gekochte auberginen und kartoffelstücke, hähnchen-geschnetzeltes in zwiebel-tomaten-soße, cuscus, reis. oder pommes.

Natürlich wollen besitzer, ober und manche anderen gäste wissen, woher ich komme, wie ich heiße, wohin ich will. Vom radfahren brauche ich zum glück nichts zu erzählen. Bin ja abends als ’normaler‘ tourist zu fuß unterwegs. Als nachspeise nehme ich noch sütlac (milchreis mit zimt) oder schokopudding mit pistazienstreusel. Ohne tee kann man in der Türkei nicht sein essen beenden. Wenn ich gehe, verabschieden sich alle so freundlich von mir, dass ich das gefühl habe, ihnen mit meinem besuch eine echte freude gemacht zu haben.

Das gleiche gefühl vermitteln mir auch die hilfsbereiten angestellten in den hotels, die mir jeweils das fahrrad sicher unterbringen helfen. Auf der kellertreppe, im wäsche-trocken-raum oder irgendwo im flur. Der rezepzionist im hotel in Kecan allerdings ist nicht sehr gastfreundlich, aber geschäfstüchtig. Als er nach langem feilschen merkt, dass ich nur 20 Ytl für eine übernachtung incl. frühstück zahlen will, stimmt er überraschender weise zu. Dann gibt er mir den schlüssel zu einem piepkleinen zimmer mit einem fenster zum treppenhaus. Vorher hat er mir ein viel größeres und luftiges gezeigt. Das sollte 30 kosten.

Die übrigen angestellten überschlagen sich auch hier vor hilfsbereitschaft. Als einer meinen kleinen laptop sieht, darf ich im ungenutzten obersten geschoss in einem ehemaligen restaurant, das jetzt wohl als büro verwendet wird, den hauseigenen pc mit internet anschluss benutzen. Meine website zeige ich ihnen nicht. Sie löchern mich ohnehin schon mit fragen. Bis ich sage, ich möchte zu abend essen. Hätte ich nur geschwiegen. Gleich läuft einer mit mir um die ecke. Wie er sagt, zum besten restaurant der stadt. Der chefkoch sei sein freund. Er könne mir zum superpreis…

Wieder werde ich herum gezeigt. Wieder wollen ober und koch wissen, wo ich denn überall war und wie es mir gefallen hat. In ruhe abend essen ist wieder nicht. Aber sie freuen sich so, mit mir zu sprechen. Sie sind froh, mir helfen oder was gutes tun zu können. Turkiye güzel, muss ich dann zum schluss noch sagen. Dann sind sie rundum zufrieden.