Flachetappe in Les Landes

Montag, 10. 07.: La Réole – Saint Sever

10. etappe: La Réole – Saint Sever 135 km 20,5 km/h   insg. 1335 km

Um 7.00 uhr steh ich auf, verstaue meine noch feuchten sachen in separate plastiktüten auf dem rad, denn es regnet schon wieder. Beim frühstück mit den katzen auf der fensterbank wage ich kaum zu atmen, so sehr mieft es in dem speiseraum. Ich zahle rasch mit der visakarte und fahre gleich los. Noch ein foto von der eisenbrücke, dann rüber über die Garonne richtung Bazas.

Erst suche ich die D 12, kann sie aber nicht finden. Dafür entdecke ich den Lateralkanal, der parallel zur hier flachen Garonne schifffahrt zwischen Agen und Bordeaux möglich macht, hier aber ungenutzt vor sich hin döst. Jetzt bin ich schon acht kilometer gefahren und habe schon zehnmal auf die karte geschaut, aber die D 12 hab ich immer noch nicht gefunden. Also nehm ich einfach die im Garonne-tal ausgebaute D 9, auf der nichts los ist, obwohl sie als zubringer dient von La Réole zur autobahn mit dem schönen namen ‚entre les deux mers‘, weil sie atlantik und mittelmeeer verbindet.

Nun muss ich 3,5 km aus dem Garonne-tal raus klettern. Aber während ich damit gerechnet habe, dass ich danach in die ebene der ‚Landes‘ hinunter rolle, muss ich bis Bazas noch zweimal klettern. Bazas selbst ist eine zweitausendjährige stadt mit einem großartigen von arkaden umsäumten marktplatz und einer beeindruckenden gotischen kirche, die in ihrer erhöhten lage schon von weitem zu sehen ist.

Im verkehsrbüro, das im sogenannten ‚Presedential‘ untergebracht ist, hole ich mir meinen stempel und bekomme ein faltblatt mit den pilgerherbergen in den Landes. Auf den stufen vor dem fahnen-geschmückten gebäude mit schöner renaissance-fassade lasse ich in einer kurzen pause den weiten platz mit den häusern aus dem 16. und 17. jahrhundert und der kirche im hintergrund auf mich wirken.


Markt, Kathedrale und ‚Presedential‘ in Bazas

Im moment regnet es nicht und die bewölkung lockert ein wenig auf. Solche momente muss ich ausnutzen, um weiter zu fahren. An einem pilgerkreuz oberhalb von Bazas nehme ich mein zweites frühstück. Dabei weht die käsetüte vom steinsockel des kreuzes, obwohl ich schon ein etwas geschütztes, aber in der sonne liegendes plätzchen ausgewählt habe. Noch schnell einkaufen, dann fahre ich weiter auf der D 932 richtung Captieux – ein nichts sagender ort – und dann weiter richtung Roquefort, nicht zu verwechseln mit dem Roquefort im Massiv Central, aus dem der berühmte schimmelkäse stammt.

Bis Roquefort sind es 29 km auf fast schnurgerader flacher straße durch einen endlosen kiefernwald, der nur dreimal von kleinen siedlungen mit wenigen häusern unterbrochen wird. Die straße ist gut ausgebaut und wird auch von einigen lkw benutzt, die mich aber auf meinem seitenstreifen nicht stören. Nach 10 tagen bin ich so froh mal wieder ein längers flachstück zurücklegen zu können. Darum trete ich kräftig in die pedale. Der leichte seitenwind stört im wald kaum. Zwischen 26 und 28 km/h kann ich hier schaffen, ohne mich kaputt zu machen. Es tut mir richtig gut, auf den armstützen zu liegen und vor mich hin zu rollen. Das gewicht vom gepäck fühle ich gar nicht. Ich kann auf dem gesamten Stück 46/12 liegen lassen und pfeife dabei  fröhlich in den wald hinein.

Allerdings fahre ich nach etwa 20 km in Retjons links ab, weil ich in einem prospekt in Bazas gelesen habe, dass im wald nahe des ortes noch ein sehr gut erhaltenes romanisches tor einer ehemaligen commanderie und im ort selbst eine alte kleine pilgerkirche zu bewundern sind. Beide gebäude sind schlichte, aber deswegen nicht weniger geschichtsträchtige, denkmäler auf dem ’sternenweg‘, wie der jakobsweg auch in der französischen broschüre in anlehnung an die legende genannt wird.

In Roquefort trinke ich in der dorfpinte ein bier und schaue die Tour der France – ankunft im fernsehen an. Einer der gäste, der auch die übertragung verfolgt, erzählt mir, dass die gestrige etappe durch Saint Sever führte und im ort ein berg der 4. kategorie bewältigt werden musste. Na ja, da will ich heute noch hin. 35 km etwa, die kann ich auch noch nach der Tour-übertragung schaffen –  bergwertung inclusive.

An der brücke über die Douze entdecke ich die gut ausgestattete pilgerherberge, die von der hiesigen jakobsgesellschaft unterhalten wird, in der zur zeit aber niemand zu gast ist. Nebenan liegt die verschlossene kirche und eine winzige frühgotische, nicht restaurierte jakobskapelle mit schönem kreuzrippengewölbe, in der eine neumodische jakobusfigur völlig deplatziert wirkt.

Von Roquefort bis Mont de Marsan sind es nochmals 22 flache und gerade km (nur zwei leichte kurven) durch einen zusammen hängenden kiefernwald. Aber je näher ich der stadt komme, um so mehr lkw sind auf der straße. Die stadt ist mit ca 30.000 einwohnern zwar hauptort des departement Landes, hat mir aber keine besonderen reize zu bieten, wenn gleich ich auf dem zentralen baumbestandenen platz eine pause einlege, um mir das geschäftige treiben im leider nicht autofreien zentrum anzuschauen. Trotz der vielen fahrzeuge und der zahlreichen hausfrauen, die anscheinend noch alle gemüse und brot fürs abendessen einkaufen wollen, meine ich, jede(r) hätte oder nähme sich hier mehr zeit als bei uns, zumindest um die frische der waren tastend oder fragend zu erkunden, aber oft auch nur, um mit anderen zu schwatzen.

Im ‚office de tourisme‘ ist so viel los, dass ich warten muss, bis der junge mann mir erklärt, dass auch er keine spuren des jakobsweges in Mont de Marsan kennt. Aber er gibt mir ein faltblatt, auf dem die pilgerroute in dieser region dargestellt ist, die seit mai dieses jahres von dem pilgerverein ‚landaise‘ zwischen Bazas und Orthez ausgeschildert wurde und genau meiner route entspricht. Auch die noch verbleibenden kilometer bis Santiago sind auf dem blatt für die einzelnen stationen angegeben. Demnach muss ich jetzt noch 942 km radeln. Also noch acht, höchstens neun tage!

Bis Saint Sever sind es jetzt noch 12 wieder schnurgerade kilometer durch einen ausgedehnten kiefernwald ohne jede steigung. Ich rolle wieder ungestört und zügig auf dem seitenstreifen. Kurz vor Saint-Sever überquere ich den dahin trödelnden Ardour. Dann geht’s etwa 800 m zum und im ort ganz schön steil hoch. Aber durch die frischen ‚marquades‘ der tour-zuschauer von gestern besonders motiviert erreiche ich den dorfplatz mühelos.

Überrascht bin ich von der abteikirche der ehemaligen benediktinerabtei, die den platz beherrscht. Mit mehr als 70 m länge, einem querschiff von mehr als 40 m und den 7 staffelförmig angeordneten absiden im chor hat sie den typischen benediktiner-grundriss. Sie stammt aus der zweiten hälfte des 11. jahrhundert, in der die abtei ihre blütezeit erlebte. Schon seit mehr als tausend jahren ist die abtei pilgerstation. Schon seit 1911 ist sie nationaldenkmal und 1976 wurde auch sie zum weltkulturerbe der Unesco erklärt.

Während auf dem faltblatt in Saint-Sever eine gemeindeeigene pilgerherberge verzeichnet ist, wissen die beiden damen vom örtlichen verkehrsamt nichts davon. Sie verweisen mich an den pastor. Dessen haushälterin öffnet die tür nur ein wenig und schüttelt bedauernd den kopf. Der pastor ist nicht da. Zurück im tourismusbüro empfehlen die damen mir zwei hotels, die ich auch gleich ansteuere, als ein polizist im dienstauto sitzend mir durchs geöffnete fenster zuruft, ich solle ins jakobiner-kloster gehen und nach Serge fragen. Er hat wohl an der muschel erkannt, dass ich nach Compostela pilgere.  Darum zeigt er mir auch den weg zu den ‚Jakobinern‘ wie er sagt. Durch ein großes holztor betrete ich einen komplett erhaltenen, teilweise sogar doppelstöckigen schlichten frühgotischen kreuzgang mit gemauertem gewölbe. Zunächst klopfe ich an eine tür mit dem schild ‚refektorium‘. Aber niemand öffnet. Dann entdecke ich, dass der südliche flügel die stadtverwaltung beherbergt, in der aber um diese zeit niemand mehr tätig ist. Dann höre ich orgelmusik aus der am nördlichen flügel angebauten kirche und denke, das könnte Serge sein. Aber dort übt nur ein junger musiker, dessen nächstes orgelkonzert für den kommenden sonntag auf einem plakat an der kirchentür angekündigt wird. Die gothische kirche ist aus dem 13. jahrhundert und nur 10 m breit, aber 50 m lang. Auf der südseite sind die fenster auf der galerie oberhalb des kreuzgangs eingebaut worden. In dem schmalen giebel überragt eine rosette beachtlichen ausmaßes das westportal.

Ich verlasse den kreuzgang durch einen seitlichen ausgang im westflügel und gelange in landwirtschatlich genutzte gebäude – schuppen und ställe, die allerdings größtenteils leer stehen. Nirgendwo ist jemand zu sehen. Auf der straße treffe ich dann einen älteren mann in bäuerlichen arbeitsklamotten, der mich gleich fragt, ob ich pilger sei und ein bett suche. Als ich erfreut nicke, stellt er sich als Serge vor, anscheinend hausmeister des jakobiner-convent, das aus dem 13. jahrhundert stammt, bestandteil der städtischen befestigungsanlagen war und eine wechselvolle geschichte hinter sich hat. Die hugenotten haben es im religonskrieg weitgehend zerstört. Später wurde es mit mitteln Roms wieder aufgebaut, nach der revolution zur schule umfunktioniert und blieb bis 1970 landwirtschaftsschule. Jetzt ist die stadt bemüht, das convent weiter zu restaurieren und zu einem kulturellen treffpunkt auszubauen.

Serge schließt mir das refektorium auf, zeigt mir die küche, die ich benutzen könnte, den riesigen speisesaal und im ersten stock die ehemaligen mönchszellen, die jetzt als pilgerzimmer dienen, sowie die duschräume. Dann gibt er mir den schlüssel für mein zimmer und bittet mich, das rad im flur vor der küche abzustellen, die eingangstür aber noch nicht abzuschließen, da heute abend spät noch eine pfadfindergruppe ankäme, die in einem der größeren schlafsäle übernachten werde. Morgen früh soll ich den schlüssel in den briefkasten seiner benachbarten wohnung werfen, deren tür er mir  zeigt.

Ich bin glücklich, eine so ursprüngliche und gepflegte unterkunft gefunden zu haben. Das bett ist nicht zu weich und frisch bezogen, die waschräume sind groß und sauber.

Den schnurrbart auf meiner inzwischen offenen oberlippe rasiere ich mir ab, damit ich die mundpartie und die nasenwurzel besser pflegen kann. Die wunden stellen schmerzen im wind, wenn ich mir die nase putze oder wenn sie mit dem essig vom salat in berührung kommen. Ich habe sie seit tagen immer wieder geschützt mit vaseline bzw. mit einer babycreme gepflegt, die ich zur behandluing eventueller sitzbeschwerden mitgenommen habe. Aber es ist noch nicht  besser geworden.

Die küche des convents hat enorme ausmaße und ist eingerichtet wie eine jugendherbergs-küche. Hier könnte man problemlos für 50 leute kochen. Aber ich benutze sie heute abend nicht – hört sich an, als ob ich kochen könnte -, sondern finde im ort einen italiener, bei dem ich lasagne, salat und tiramisu esse. Danach kehre ich in einer pinte gegenüber der kirche ein, schaue dort die tour-zusammenfassung und trinke ein ‚demi peche‘. Hier hätte ich besser essen können, stelle ich fest, als eine achtköpfige gruppe sich an einem langen tisch verschiedene komplette viergang-menüs schmecken lässt. Das essen wäre bestimmt teurer gewesen, tröste ich mich und trinke ein zweites bier, bevor ich ins convent zurück spaziere. Dort bin ich noch immer ganz allein. Mein rad habe ich am treppengeländer gesichert und lasse die tür auf. Bis zum einschlafen und auch während der nacht höre ich niemanden kommen.

Ich freue mich auf die Pyrenäenetappe morgen. Allerdings hatten die Tour-profis in Hautacam heute miserables wetter und der wetterbericht für morgen verheißt auch nichts gutes. Was soll’s? Ich hab schon so viel regen gehabt und außerdem passt das wetter zu den bergen. In einer werbeanzeige für trekkingräder ist der Ibaneta-pass im dichten nebel abgebildet. Das reizt mich genau so sehr, den pass hoch zu strampeln, wie das foto einer im sonnenschein liegenden passstraße, die umsäumt ist von blühenden bergwiesen. Schwierige äußere bedingungen erfordern höheren sportliche leistungen und die reizen mich – auch auf dem jakobsweg. Genuss in der schinderei finden ? Na, so masochistisch bin ich doch nicht veranlagt. Es wäre mir schon lieber, wenn die sonne schiene.