AUFGEBROCHEN

Wir rollen abwaerts richtung Skhoder. Schon direkt hinter dem albanischen ‚zollamt‘ wird das rollen zum staubigen holpern. Die straße ist über einige zig meter aufgebrochen. So als ob die fahrbahn ausgekoffert worden sei und nun ein neuer untergrund eingefüllt werden müsste. Baumaschinen oder gar arbeiter sehen wir jedoch keine.

Straßen in Albanien sind für alle verkehrsteilnehmer problematisch. Aber für radler gefährlich. Am gemeinsten sind unvorhersehbare fahrbahnlöcher im straßenrand am abend. Manchmal einen halben quadratmeter groß. Nicht selten 40 bis 50 cm tief. Nicht zu erkennen, höchstens zu erahnen. Im letzten moment musst du irgendwie drum herum. Gott bewahre, dass dich dann gerade ein lkw überholt. Nie habe ich mir erklären können, wie diese krater entstanden sind. Die frage, warum sie niemand schließt, stellst du dir auch als radtourist in diesem land nach einem tag schon nicht mehr.

Etwas minder schlimm die an der dunkleren farbe mit hellerem rand  erkennbaren verwerfungen im asfalt. Immer in dem seitlichen bereich der fahrbahn, den radler nutzen. Bis zu zwei meter lang und einen breit – aber viel gefährlicher  – bis zu 25 cm höher als die übrige fahrbahn. Da musst du dann plötzlich eine stufe hoch springen.

Schließlich die vielen stellen, an denen die straße aufgebrochen wird/wurde, in verbindung mit straßen- oder anderen bauarbeiten. Oft liegt in diesen baustellen schon so sehr verwitterter müll, dass man vermuten muss, hier ist schon monatelang niemand mehr tätig gewesen. Ewige baustellen.

So empfinden die Albaner selbst nicht. Sie sind in einer echten Aufbruchstimmung. Sie sehen ja auch die wirkung europäischer straßenbauprogramme beim ausbau der nationalstraßen. Sie freuen sich ueber die neuen gebäude der ausländischen investoren und hoffen auf weitere wirtschaftliche hilfe der EU und den dann folgenden boom.
Schreiend widersprüchlich zu dieser zukunftshoffnung die herunter gekommenen ehemals unter den sozialistischen machthabern errichteten aber weiter genutzten oeffentlichen gebäude und einrichtungen in der haupstadt Tirana. Ebenso absurd die in jedem park und auf allen großen, an denen die ‚boulevards‘ zusammentreffen, unbeachtet und ungepflegt herum stehenden monumentalen heldenfiguren. Vorwärts marschierende soldaten und arbeiter mit schwerem gerät oder nationale freiheitskämpfer. Das unkraut hat sie bereits überwuchert. Die fassaden sind abgeblättert. Einzig die bronce hält dem jahrzehnte langen verfall stand.

Tirana ist eine skurile mischung aus vermeintlich heroischer vergangenheit,  neureicher geschäftemacherei, wirtschaftlichem neuanfang und billigem konsum. Elendiger plattenbau neben verfallenen belle epoche-villen. Glasfassaden neuer versicherungen in direkter nachbarschaft zu ungepflegten sozialistischen zigarrendosen-bauten aus den 50er jahren. Riesige neue telekommunikations- oder discounter-werbeflaechen ueber verrosteten strassenschildern.

Zwischen knatternden mopeds und qualmenden bussen aus der china-gestützten zeit beachten die vielen wartenden an den bushaltestellen kaum noch die frisch geputzten Porsche Cheyenne und Bugatti-limousinen.

Der bruch mit der kommunistischen geschichte ist vollzogen. Aber dem aufbruch in die neue zeit fehlen die gesellschaftlichen leitideen. Konsumgier und profitstreben werden nur wenige in dem land reicher machen als sie ohnehin schon sind. Ihr weg in die zukunft liegt als riesige baustelle vor den Albanern. Vielleicht schon zu lange, um noch selbst bestimmen zu koennen, was gebaut wird.