AUF GEBEN
Sharjah, 10. 02. 09 Ein wohlgemeinte mail erreicht mich in Dubai mit der frage, wieso ich bei solchen schwierigkeiten auf der reise so wenig vom aufgeben weiß. Nach auffassung der klugen frau, wäre ich erleichtert, sobald ich meine grenzen erkennen und akzeptieren könnte. Dadurch könnte ich meine wahre persönliche freiheit erfahren. Ganz schön schwierig. – für mich. Erst einmal verstehen, was sie meint. Und dann prüfen, ob das auch für mich gelten kann. Vom aufgeben verstehe ich wirklich wenig. Das habe ich bisher in meinem leben kaum einmal gekonnt. Zu meinem glück auch noch nicht oft gemusst. Ich halte es für ein großes glück, wenn man ohne dinge aufgeben zu müssen, glücklich leben kann. Ganz besondere ‚aufgaben‘ in meinem leben habe ich als schwierig empfunden und als wertvoll erfahren. Das aufgeben der konrektorstelle im Selfkant, das aufgeben meiner ehe, das aufgeben des eigenen hauses. Diese entscheidungen waren alle ergebnisse monatelanger, ja jahrelanger schwierigkeiten, ständigen grübelns und zweifelns. Schließlich haben sie sich alle als richtig erwiesen und mich weiter gebracht. Aufgeben hat in der leistungsgesellschaft meist den beigeschmack des scheiterns. Sich etwas vornehmen, es aber nicht schaffen. Die gründe des nicht weiter machens spielen dabei kaum eine rolle. Da schaut fast niemand hin. Nur vordergründig wird konstatiert: Aufgegeben! Nicht gepackt! Durchgefallen! Verständnis zeigen vielleicht noch einige wohlgesinnte. Mitleid haben die, die auch nicht weiter kommen. Schadenfreude vielleicht die, denen selbst schon mal ein aufgeben übel genommen wurde. Erklärungen werden versucht, als entschuldigungen gebilligt. Echte hilfe erfährt nach dem aufgeben kaum jemand. Sich selbst zu helfen, wird meist im alleingang versucht. Hilfe von anderen in gruppen oder therapien aus scham wider besseren wissens häufig abgelehnt. Wer kann aufgeben einfach zugeben? Wer kann schon aufgeben als gewinn sehen? Wer kann im aufgeben eigene grenzen anerkennen? Wer kann in der eigenen begrenztheit seine persönlichkeit finden? Wer kann aufgeben als weg zur eigenen persönlichen freiheit verstehen? Auch im nicht-aufgeben in einer schwierigen lebenssituation kann eine hohe freiheit liegen. Ich erinnere mich an Camus‘ „Mythos von Sisyphos“. Der held der griechischen sage ist nach seiner interpretation trotz seiner absurden strafe glücklich, weil er entscheidet, den berg wieder und wieder runter zu gehen, um den fels wieder und wieder hinauf zurollen. Sisyphos ist nach Camus‘ auffassung stärker als sein schicksal, das er ohnehin nicht ändern kann. Das scheitern ist nicht der gegensatz zur freiheit, sondern eine menschliche möglichkeit, die sich aus der freiheit des menschen ergibt. Dinge leisten uns keinen widerstand. Durch unsere pläne können die dinge zu einem widerstand werden. Die passstraße kann mir nur widerstand leisten, wenn ich mir vorgenommen habe, sie hoch zu radeln. Wenn ich entscheide, diese reise fortzusetzen trotz widerstände entspringt das meiner entscheidung. Ich radle, weil ich mir von den erlebnissen, den begegnungen, der eigenen anstrengung, den unterschiedlichen anforderungen unter den wechselnden bedingungen und meinen reaktionen darauf einen unerhört reichen erfahrungsschatz verspreche, der mir in meinem leben als ‚dorfschulmeisterlein‘ so gefüllt nicht offen steht. An dieser entscheidung ist nichts zwanghaftes. Es gibt keinerlei maßgaben, wann dieser schatz reich genug gefüllt ist oder wann nicht. Die reise zu ändern oder auch sie abzubrechen, kann und werde ich entscheiden, wenn ich fühle, dass sie nicht mehr bringt, was ich mir von ihr verspreche. Aber so schlecht geht es mir gar nicht. Ich habe auf den bisherigen 8500 radkilometern so viel schönes gesehen, so viel angenehmes erlebt, so viel neues erfahren über mich und die welt um mich herum. Es lohnt sich weiter zu fahren. |