AN GENOMMEN

Denizli, 27-03-09 

Angenommen ich nähme von Antalya aus weiter die küstenstraße. Dann hätte ich wahrscheinlich wärmeres wetter. Aber den wind vom meer zumindest auf der hälfte der strecke gegen mich. Und bestimmt wäre dieser südliche bogen 250 km länger als der weg durch die berge.

Angenommen ich nähme zuerst die bergige strecke, führe aber ab Sögüt wieder runter an die westliche küstenseite. Dann müsste ich auch 200 km auf und ab bis Fethiye. In wahrscheinlich kaltem wetter. Hätte dann aber immer noch 350 km küste und berge vor mir bis Aydin.

Den kürzeren weg durch die berge nehme ich. Knappe 500 km bis Izmir, von denen aber 120 durch ein flusstal meerwärts führen. Außerdem komme ich dann nach Pamukkale. Der ort scheint wirklich sehenswert. Täglich besuchen ihn hunderte tagestouristen von der türkischen riviera aus.

Angenommen habe ich bei dieser wahl, dass das wetter ende märz so schlecht nicht mehr sein wird, berge bis 1500 m höhe mir so schwer nicht fallen werden und der wind in den bergen mich nicht so offen treffen wird wie am meer.

Einfach annehmen, was der tag mir bietet, will ich auf dieser reise ohnehin. Nicht so viel abwägen, grübeln und planen. Vertrauensvoll  und frohgemut entscheiden, wıe es mir richtig scheint. Es kommt ohnehin, wie’s kommt. Und es ist gut. Das habe ich doch nun oft genug erlebt.

 

Frisch vom frisör, der mir zu meinem schrecken die haare aus den ohrmuscheln mit seinem normalen feuerzeug wegfackelte, radle ich los. Von Antalya nach Korkuteli herrscht herrlicher sonnenschein bis zum späten nachmittag. Auf den 75 km muss ich drei lange anstiege nehmen, die ich nur auf der kleinsten übersetzung schaffe. Der wind ist nur schwach, aber in meinem vorteil.

Die wenigen bauern und hirten am straßenrand winken und grüßen mich für sie seltsamen gast. Mit tee, orangen und bananen versorgen sie mich. Ihr interesse gilt mehrmals meinem schweren gepäck. Verständnislos schütteln sie meist den kopf.

Auf dem marktplatz von Korkuteli gerate ich in eine politische versammlung der Saadet-partei, die hier ihren wahlsieg feiert.

Die jungen zaungäste, die ich nach einem campingplatz frage, bestätigen meine vermutung, dass oberhalb der stadt an dem stausee campen möglich ist. Damit ich leichter hin finde,  schnappt einer der jungen leute sich ein mountainbike und bringt mich kurzerhand zum kanalisierten flusslauf, dem ich dann nur noch aufwärts zu folgen brauche bis zur staumauer.


Hier holpere ich auf einem steilen schotterweg zu einem hotel oberhalb des sees. Aber das hat so früh im jahr noch gar nicht geöffnet. Am hang zum seeufer sind einige plattformen aufgestellt zum sitzen, sonnen oder picknicken.

Mein zelt passt genau auf solch ein holzquadrat. Zu jeder dieser terassen gehört eine sitzgruppe. Ideal für mein abendbrot und frühstück. Zehn meter weiter finde ich einen wasseranschluss. Was will mein camperherz noch mehr?


Kalt wird’s beim abendessen. Vom kahlen see weht ein kräftiger wind rüber. Im geschützten zelt eingerollt in den warmen daunenschlafsack schlafe ich ein. Trotz nahem hundegebell und windgeheul.

Annehmen, was kommt, ist einfach, wenn die eigenen erwartungen erfüllt werden. Die eigene zufriedenheit akzeptiere ich allzu oft wie selbstverständlich. Danke zu sagen, vergesse ich heute abend nicht.        

Am nächsten morgen ist alles anders. Nur ganz früh lässt die sonne das orange meines zeltes kurz aufleuchten. Dann verdunkelt sich der himmel. Graue regenwolken ziehen auf. Rasch packe ich zusammen und rolle runter in die stadt. Die männer an einem teehause meinen, ich wäre nicht warm genug angezogen. Als sie hören, dass ich nach Denizli will, warnen sie vor regen und schnee. Was soll ich machen? Hier stehen bleiben und wartend frieren ist keine lösung. Los fahren und annehmen, was der tag bringt.

Goretex-socken, -handschuhe, -jacke und -hose habe ich schon an, Jetzt noch die überschuhe über die füße und die kapuze unter den helm. So müsste ich ein, zwei stunden trocken bleiben. Doch der regen wird schlimmer. Je höher ich komme, wird er auch kälter. Immer mehr entgegen kommende autos fahren mit licht. Auf den kühlerhauben klebt dicker nasser schnee.

Bis auf 1460 m klettere ich im schneeregen. Die vaude-hose und die überschuhe halten wirklich dicht. Die imprägnierung der gelben regenjacke  ist hinüber. Noch in Dubai habe ich sie erneuert. Die jacke ist einfach zu alt und zu oft gewaschen. Die schwarze regenjacke ziehe ich deshalb noch drüber. Jetzt werde ich zwar schweißnass. Aber mir ist wenigstens warm.  Ärgerlich nur, dass die neuen Gore-handschuhe nicht wasserdicht sind.

Noch vor dem Comaklibel-pass komme ich an ein kleines restaurant. Mitten im raum bullert ein brauner holzofen. Meine jacken hänge ich in seiner nähe über zwei stühle. Toilette gibt’s keine. Aber in einer windgeschützten ecke der überdachten terrasse wechsele ich unterhemd und trikot.

Mehrere kraftfahrer und zwei polizisten essen gebratenen fisch. Da ich sowieso warten will, bis meine sachen trocken sind, bestelle ich ihn auch. Mit zitrone, salat und brot schmeckt er gut. 


Der regen hört auf. In dem folgenden recht weiten tal steigen überall wasserdampf-wolken auf. Es ist immer noch windstill und gar nicht so kalt. An der kreuzung in Sögüt könnte ich nach südwesten abbiegen. 130 km weiter wäre ich wieder am meer. Nein, ich habe mich entschieden und nehme es jetzt so, wie’s kommt. Seitdem ich mich umgezogen habe, hat’s nicht mehr geregnet. Ich bleibe trocken bis Cavdir. Hier gibt’s ein hotel. Wann das nächste kommt, ist fraglich. 70 km sind genug bei dem schneeregen.

Das „Esteran“ sieht nach was aus. Scheint mit dem großen esssaal, all dem geschirr und den unzähligen gläsern ausgerüstet als buspausen-raststätte für tagestouristen von oder nach Pamukkale. Als ich mich an der rezeption nach einem zimmer erkundige, blickt der junge mann erstmal fragend zu seinem langhaarigen chef. Der nickt eifrig zustimmend. 30 € oder 50 Lira will er haben. Ich sage, dass sei viel zu teuer. 20 lira wären angemessen. Der lockenkopf lacht und will sich auf dreißig mit mir einigen. Er fragt, ob ich deutsch spreche. Als ich bejahe, mischt sich ein am tisch mit einem computer spielender gast ein. Er sei ein freund des hotelwirts, erzählt er, habe die österreichische staatsbürgerschaft, aber lebe in Antalya. Da bringe ihn sein freund auch heute noch hin. Das hotel sei eigentlich noch geschlossen, weil im umbau. Für eine nacht könne ich das zimmer des freundes haben. Zehn minuten soll ich warten, dann wäre es fertig. Auf 25 lira einigen wir uns. Ohne frühstück, aber mit wireless internet zugang.  

Auch das ist noch viel zu viel für den raum. Es dauert eine halb stunde, ehe ich rein kann.Trotzdem ist der boden nicht gesaugt oder gar gewischt. Staub liegt auf tisch, stühlen und TV. An einem garderobenständer hängen pullover und hemden. Der schrank ist voller klamotten. Das bettzeug ist abgezogen. Mehrere decken, steppbetten und kissen liegen auf den noch recht neuen matratzen des doppelbetts. Zum glück habe ich meinen schlafsack und meine luftmatratze mit.

Am schlimmsten sind die schimmelflecken an decken und wänden. Die ecken der nasszelle sind wirklich schwarz. Ich merke jetzt erst, dass das hotel überhaupt nicht beheizt ist. Alle körper sind kalt. Durch die thermopane verglasten fenster meines raums kann man nicht durchblicken. So beschlagen sind sie. Ich lüfte. Nun wird es so kalt, dass ich mich in den schlafsack kuscheln müsste. Aber ich zweifele noch, ob ich in dem schimmel-bad duschen soll. Das elektro-heißwasser-gerät funktioniert. Mit meinen tevas stelle ich mich unter den heißen aber zu mikrigen wasserstrahl. Zum abtrocknen nehme ich mein eigenes handtuch. Das an der tür hängt, scheint mir schon benutzt.


Mit der fleece-mütze über den feuchten haaren, langer ski-unterwäsche, dicken wollsocken und meinem kleinen pc krieche ich in den schlafsack. Obwohl ich es mit dem hoteleigenen code zigmal probiere, komme ich wieder nicht ins internet. Das klappt mit meinem pc jetzt schon seit Muskat nirgendwo mehr. Zu ärgerlich. Heut hätte ich so viel zeit gehabt, mein tagebuch aufzufrischen und neue fotos hoch zu laden.

Angenommen hab ich dieses sauwetter und auch dieses miese kalte hotel. Ohne mich zu beschweren. Ohne meckern. Ohne wut. Aber dieser pc macht mich wütend. Besser ich schalte ihn ab.

Ist das überhaupt richtig, dass ich solch ein zimmer akzeptiere? Muss ich mir das eigentlich bieten lasse, wenn ich dafür auch noch so wenıg zahle? Bin ich nur zu feige oder zu bequem, um auf angemessenen service zu bestehen?

Als heute auf dem rad die kälte durch die durchnässten ärmeI unter mein langarmtrikot kriecht, der atem den buff vor meinem mund erstarren lässt, die ohren unter mütze, kapuze und helm schmerzen, da bin ich so enttäuscht, fühle mich so ungerecht behandelt. Womit habe ich das verdient?  Unsinnig – diese frage. Ich weiß. Aber sie geht mir auch jetzt im schlafsack wieder durch den kopf.

Auf meinem weg nach hause will ich doch noch mal die schönheiten der landschaften wahr nehmen, mich am frühling erfreuen, berge, sonne und meer genießen. Es fällt mir so schwer, gelassen hinzunehmen, was ich heute mitgemacht habe.    

Am nächsten tag ist wieder alles anders. Zum frühstück brät mir ein turkmenischer angestellter im restaurant ein rührei. In der saison dreht er den russischen gästen süßen türkischen wein an. Er ist überaus freundlich und hilfsbereit. Mehrmals entschuldigt er sich für die kälte im hotel und für die preise. Dabei zahle ich für das zimmer mit frühstück, der pide und dem bier von gestern abend keine 20 €.  

Mit einer straßenbaustelle geht’s heute los. Der verkehr wird etwa 15 km umgeleitet. Ich frage zwei mir entgegen kommende mopedfahrer, ob ich mit dem rad durch komme. No problem, meinen sie. Auf fest gefahrenem kies rolle ich gut voran. Nur voller dreckspritzer bin ich schon nach wenigen hundert metern auf der von gestern regennassen piste.

Bei Kumavsari erreiche ich eine mehrfach auf großen werbepakaten angekündigte hotel-restaurant-anlage, an der anscheinend viele bus-gruppen auf dem weg von oder nach Pamukkale rast machen. Welch ein riesiger speise saal! Dreihundert gäste können hier locker essen. Verloren nehme ich als einziger platz. Mindestens fünf ober schwirren um mich herum. Ein einladendes reichhaltiges frühstücksbüffet ist noch aufgebaut. Für 12 lira kann ich suppe, yoghurt, süßes gebäck, cornflakes, gurken, kalte pizza, tomaten, warmen überbackenen toast und noch mehr in mich hinein stopfen. Als ich nach dem dritten glas tee wieder los fahre, trudelt gerade die erste reisegesellschaft ein. Ob das büffet den wohl beleibten ostdeutschen rentnern stand hält?    

Mit der ortschaft Dereköy – 870 m über dem meer –  eröffnet sich eine offene hochfläche, in die ein kalter, zunehmend kräftiger nordost-wind einfällt. Zusammen mit dem hier besonders rauhen asfalt macht er mir das vorwärts kommen immer schwerer. Auf dauer kühlt er mich trotz winddichter kleidung aus. Vor allem am schweißnassen rücken friere ich. Der drahtlose tacho fällt bei diesen niedrigen temperaturen aus. Zum glück, denke ich. Dann sehe ich wenigstens nicht, wie langsam ich voran komme.

Um zwei halte ich an einer tankstelle bei Serinhisar. Die cola und das wasser an meinem rad sind mir zu kalt geworden. Ich fülle meine thermosflasche mit heißem tee. Das dauert eine weile. Eine rast, die mir gut tut. Aber der tankwart schockt mich mit seinen km-angaben. Noch 60, sagt er, bis Denizli, meinem heutigen ziel. Laut karte sind es insgesamt 105 km. 45 km ist der tages-km-stand auf meinem zähler. Aber der steht schon bestimmt seit einer stunde. Da wäre ich in dieser stunde ja gar nicht weiter gekommen. Mitleidig lächelnd überlegt er beim kassieren noch einmal. 50 km meint er dann – weil er meine enttäuschung gespürt hat. 10 flach, 10  ansteigend und 30 runter zeigt er mir mit seinen händen. Na, das sieht sich doch gar nicht so schlimm an.

Die nächsten 20 km werden ganz schlimm. Der die ebene begrenzende bergrücken im nordosten rückt immer näher. Ich hoffe lange, dass er mir den wind bald nimmt. Im gegenteil. Während er mich schätzungsweise 50 km von rechts zur fahrbahnmitte hin gedrängt hat, peitscht er mich jetzt mehrfach in den straßengraben. Der ist hier wieder mehrere meter tief, weil die fahrbahn wieder über dem natürlichen niveau der wiesen und äcker angelegt ist. Straßenbauer sind nun mal keine radler. Auf dem noch flachen teilstück muss ich anhalten, wenn ich von dem heißen tee trinken will. Der wind ist zu heftig, um einhändig zu fahren. Noch vor beginn des anstiegs ist der tee schon alle.

Allmählich dreht die straße westwärts zu der niedrigen stelle im höhenzug, über die der 1200 m hohe pass führt. Der wind – nein, der sturm – jagt mir von der passhöhe frontal entgegen. Die straße ist ab hier 4800 m dreispurig ausgebaut – kriechspur für langsame lkw – entnehme ich einer hinweistafel. Die steigung ist mit 10 % angegeben.

Jetzt komme ich nicht mehr von der stelle. Ich brülle den wind an: „Das geht doch nicht! Wie soll ich das denn schaffen? Ich kann nicht mehr.“ Wenn ich mir nicht lächerlich vor käme, würde ich zu heulen anfangen.

Annehmen, was kommt! Als der fahrer eines langsamen, voll gepackten lkw mir aufmunternd zuwinkt und mehrfach laut hupt, versuche ich eine der abspannleinen zu erwischen und mich daran fest zu halten. Sicher 50 m gebe ich alles. Der dieselruß steigt mir in nase und augen. Meterweit bleibe ich hinter ihm. Er ist zu schnell. Keuchend und wut schnaubend gebe ich auf. Jetzt ist mir auch die kalte cola egal. Die vier letzten plätzchen stecke ich mir gleich dazu in den mund. Ich muss husten. Spucke die hälfte wieder aus. Trinke die cola leer. Wenn ich wenigstens wüsste, wie viele der 4,8 km ich noch vor mir habe. Anfahren ist bei der steigung und dem sturm auch nicht leicht. Ein vermessungstrupp winkt mir zu. Föstelnd rührt einer mit dem finger in seiner gewölbten hand. Cay?, ruft er. Ich nehme ihn gerne an. 500 m, sagt er. Tatsächlich! Ich bin gleich oben. 1150 m steht auf der tafel. Lächerliche höhe angesichts dessen, was mich in Kirgisien erwartet hätte. Bin ich froh, dass ich mich anders entschieden habe. Heute spüre ich, dreitausender mit dem rad, die sind nichts für mich.

Denizli liegt auf 354 m. Es geht wirklich den rest der strecke nur runter. Der kilometerzähler funktioniert auf den ersten km immer noch nicht. Es rollt auch nicht. Dazu ist der wind zu stak. Immer wieder fasst er mich in kurven oder nach böschungen.

Bis ins zentrum kann ich’s laufen lassen. Denizli ist eine schöne stadt mit alleen und mehreren lebhaften plätzen in der fußgängerzone. Dass Esin-hotel sieht gepflegt aus.

Zwei nächte bleibe ich hier. Pamukkale besuche ich ohne gepäck. Einen herrlichen sonnentag erleben ich dort. Mit nackten füßen durch die thermalbecken stapfen.

Auf den blumenwiesen liegen und in den blauen himmel schauen und die den roten quellen von Karahayit bestaunen. 

Auf dem rückweg besuche ich noch das nahe antike Hierapolis

Der abstecher in die ‚watteburg‘ und zu den antiken fundorten ist die ganzen mühen der letzten tage wert.

Die antiken mauern, all die blüten und das weiß Pamukkales bieten herrliche farbkontraste. fotos über fotos mache ich.

Auch nach solch wunderschönen tagen, frage ich mich, warum ich es so schwer habe auf dem nach-hause-weg. Die herrliche etappen begeistert absolvieren, das fällt leicht. Aber die anstrengenden annehmen ohne murren, kann ich noch nicht. Gelassen das, was kommt, akzeptieren! Wann werde ich das endlich können?