SCHLEICH WEGE

Gemünd 05. 05. 09

Balaton, der Plattensee, ist mein nächstes ziel. Auf nebenstraßen radle ich durch das flache ungarische becken und überquere wieder mal die Donau ca. 75 km südlich von Budapest. Nach einem heftigen gewitter in der mainacht kommt der wind jetzt aus norden. Nach all dem rückenwind, den ich genossen habe in den letzten wochen. klage ich nicht mehr über meinen freund.

Der 1. mai ist auch in Ungarn ein feiertag. Am sowjetischen ehrenmal in Dunaföldvar muss die feuerwehr bestimmt 20 festpavillons wieder aufrichten, die der sturm heute nacht umgerissen und verbogen hat. Frauen schleppen schon um 9.00 uhr salate und grillfleisch an. Die kinder spielen derweil zwischen den buden mit ihren fahrrädern. Die gleiche szenerie wie bei der vorbereitung ähnlicher feste in Braunsrath, Roosteren oder Bree.

Neben hammer und sichel wie so oft an einer brücke der hl. Nepomuk. Einer der wenigen heiligen, die ich wieder erkenne, weil er der schützenpatron in Havert ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

Es ist ein sonniger warmer tag. Hunderte von motorradfahrern sind unterwegs. Je näher ich dem Balaton komme, um so mehr freizeitradler treffe ich. Um den Plattensee gibt’s einen gut ausgebauten autofreien radweg. der fast immer in ufernähe verläuft. In jedem seeort noch ungenutze strandbäder, aber volle café- und restaurant-terrassen. Überall karpfen, goulasch und palatschinken. Weibliche bedienung immer im trachten-look.

Der see liegt trotz wind ganz ruhig da. Doch ehe ich eine stille ecke finde, muss ich bis zur halbinsel südlich von Balatonfüred radeln. Überall picknicken vorwiegend ungarische und österreichische tagesgäste. Die eigentliche urlaubssaison fängt hier erst später an. Nach einem geöffneten campingplatz muss ich länger suchen. In Balatonalmadi ist der „Yacht – Camping“ schon gut belegt von leuten, die ein boot hier liegen haben. Übrigens scheint der platz im sommer beliebt zu sein bei niederländischen gästen. Die wege innerhalb des platzes tragen zur orientierung namen wie ‚Roelstraat‘ oder ‚Marijkeweg‘.

Eigentlich will ich am Balaton länger bleiben. Mich, mein rad und mein tagebuch wieder mal pflegen. Trotz vorsaison ist mir hier an diesem langen wochenende zu viel betrieb. Am nächsten morgen fahre ich gleich weiter richtung Györ. Die landschaft entspricht nun nicht mehr der üblichen vorstellung vom flachen Puszta-Ungarn. Sie gleicht eher einem deutschen mittelgebirge. Sogar skifahren scheint hier im winter möglich.

Die barocke abtei Zirc und das kloster bei Pannonhalma würden auch nach Franken oder ins Voralpenland passen. Historische bauwerke und naturmonumente werden staatlich, oft auch mit EU-mitteln gefördert. Aber auch von lokalen behörden und vereinigungen sorgsam gepflegt. Schon wegen des ‚fremdenverkehrs‘, wie mir der gastwirt der gemütlichen pension ‚Platan‘ in Nyul am abend erzählt.

Györ wirkt am sonntag morgen verschlafen. Ungehindert mit dem rad durch die zentrale fußgängerzone auf der suche nach einem café begegne ich nur dem ein oder anderen sonntags-spaziergänger und -radler. Vater und Sohn auf dem mountainbike bringen mich zur ‚Mosoni Duna‘, der kleinen Donau. Sie begleiten mich ein stück auf dem europäischen radweg Nr. 6, der nach Bratislava führt.

Da ich die slowakische hauptstadt meiden will und auch nicht nach Wien möchte, radle ich auf kleinen straßen und wirtschaftswegen in das dreiländereck H/A/SK. Erst bei Rajka in die Slowakei und schon nach wenigen km bei Kittsee wieder nach Österreich. Grenzorte passiere ich, in denen sich nach dem zweiten weltkrieg flüchtlingstragödien abgespielt haben. Grenzübergänge, die bei der öffnung des ostblocks 1989 im mittelpunkt weltweiter berichterstattung standen. Heute interessieren sie niemanden mehr. Von alten zollämter stehen noch verlassene ruinen. Die rostigen fahnenmaste sind leer. Nur an den kleinen blauen EU-tafeln mit dem jeweiligen landesnamen kann ich erkennen, wo die grenze etwa verläuft. Auf das dreiländereck wird hier nicht hingewiesen.

Nationales denken auf dem rückmarsch in einem land ohne grenzen! Wo früher der undurchdringliche ‚Eiserne Vorhang‘ die weltmächte trennte, radeln jung und alt am sonntag nachmittag hinüber und herüber. Jemanden, der mit dem ganzen grenzärger groß geworden ist, kann das nur freuen. Aber was jetzt schon zeitgeschichte ist, sollte nicht in vergessenheit geraten. Die diesjährige niederösterreichische landesausstellung widmet sich dem thema. Ihr titel: „Geteilt, getrennt, vereint“.

Die synagoge in Györ ist mir heute morgen aufgefallen. Im zentrum der stadt, groß und schön restauriert. Antisemitische oder ausländerfeindliche schmierereien sehe ich keine in den provinzstädten – egal in welchem der drei länder. Sensibilisiert durch Markus‘ große sorge um die politische rechtslastigkeit unserer gesellschaft, sehe und höre ich jedoch bedenkliches. Auf dem kurzen slowakischen stück radelt eine gruppe kahl-geschorener, body-gebildeter, junger männer mit nackten oberkörpern und meines erachtens faschistoiden tätoos auf armen und schultern an mir vorbei. Ein angeblicher ingenieurstudent mit „keltischen“ amulett am schwarzen lederhalsband erzählt mir im Burgenland was von „nationaler eigenständigkeit“, die sein land verloren habe nach dem zweiten weltkrieg. „Einfachere völker“ hätten ihre kultur besser bewahrt, indem sie sich nicht abhängig gemacht hätten von großmächten. Die „unsinnige einbürgerung“ oder „pseudo-integration“ ausländischer mibürger hätte man seiner meinung nach erst gar nicht versuchen sollen. Alte gräben tun sich da wieder auf. Alte grenzen werden wieder neu gezogen.

Auf solche wähler zielen die wahlplakate einer angeblich freiheitlich orientierten partei Österreichs. In gereimten slogans spricht sie unverblümt ausländerfeindliche gefühle an. Ob die verantwortlichen dieser üblen wahlwerbung anders dächten, wenn sie ähnliches erlebt hätten wie ich auf meiner reise? Naive Frage! Denen geht’s um stimmenfang. Emotionsgeladen werden tief liegende ängste und aggressionen der wähler geschickt genutzt. Macht- und geldgier führen zu solch böswilliger propadanda mit dumm-dreisten parolen.