SLOW ENIEN
Ewig gestrige wie ich erwarten an der grenze zum früheren Jugoslawien irgendeine formalität, wenn nicht kontrolle. Unsinn – Slowenien ist EU-mitglied. Der grenzübertritt ist genauso unspektakulär wie der zwischen Isenbruch und Susteren. Allerdings sind die ehemaligen zollgebäude hier noch nicht abgebrochen.
Slowenien hat herrlich graue schroffe kalkfelsen der Karawanken, unglaublich viele flüsse und bäche, langsam dahinfließende wie die ruhige Sava oder so wilde, dass kanuten aus Neuss hierhin kommen zum trainieren. Slowenien ist ein naturschauspiel. Beeindruckend auch die wie eine ältere dame auf mich wirkende hauptstadt Ljubljana. Sie hat bessere zeiten gesehen, ist jetzt aber wieder zu neuem politischem, gesellschaftichem und kulturellen leben erweckt. Das zur zeit laufende sommerfestival ist ein mit theater und musik erfüllter lebediger beweis dafür. Die erinnerungen an ihre glanzreiche vergangenheit pflegt sie so gut sie kann, die spuren ihres jahrzehntelangen stillstands und des armseligen wohnungsbau dieser periode kann sie nicht vertuschen. In der altstadt, erstrahlen alle staatlichen und städtischen historisch bedeutungsvollen gebäude in altem glanz. Doch Ljubljana lebt auch in diesem viertel. Überall cafés und läden, die sich sehen lassen können. EU-standard halt. Aber über den gewinnbringenden parterre-schaufenstern brökeln die alten stuckfassaden. Doch diese mischung aus meroder KundK-vergangeheit, modernem wirtschaftszentrum, traditionell zentralem markt für das agrarische umland und ein wenig brügge – wegen der kleinen dicht aufeinander folgenden brücken und der touri-boote auf der Sava – hält mich mit ihrem gemütlichen charme. Hier geht’s wie im ganzen land noch vielerorts noch gemütlich zu.
Aber Slowenien hat inzwischen den €. Außerhalb jeden mittelgroßen örtchens liegt ein neues gewerbegebiet mit Hofer (=Aldi), Lidl, KIA, kik, getränkemärkten und was sich da halt so ansiedelt. Mag sein, dass meine eingeschränkte wahrnehmung vowiegend deutsche firmen registriert. Wirklich auffällig viele deutsche oberklasse pkw mit SLO-kennzeichen fahren auf den gut ausgebauten straßen. An den wichtigen verbindungsstraßen sind oft radwege ausgbaut, immer wieder auf eigener ruhiger trasse in sicherer entfernung vom motorisierten verkehr. In den fußgängerzonen der größeren städten das EU-übliche angebot an klamotten-, parfüm- und schmuckläden. Gleichmacherei als folge der gobalisierung ?
In den oft verschlafen wirkenden dörfern – das ein oder andere schlagloch rütttelt mich wach – kaum ein geschäft – oft nicht mal mehr ein bäcker oder ’ne pinte. Als mir Dominik, ein 12jähriger junge auf dessen privatem bolzplatz ich eine nacht gezeltet habe, den weg zum nächsten laden erklärt, nennt er 5 dörfer, die ich durchradeln soll. Aber dann, dann käme der große „market“. Wie bei uns, nur geht es auf dieser einkaufsstrecke ständig so was von rauf und runter, dass ich schweißnass durch den klimatisierten supermarkt hetze, um mich nicht zu erkälten.
Hetze – die erlebe ich nicht in SLOW enien. An der kasse wird erzählt, egal wie lang die schlange wird. Niemand meckert. Sich entgegen kommende bauern oder lkw-fahrer versperren plaudernd die fahrbahn. Den hausmeister einer ziemlich runter gekommenen pension in dem sich gerne mondän gebenden skiort Kranskja Gora habe ich zu einem englischen gast, der unzufrieden war mit der stromversorgung auf seinem zimmer, sagen hören: When rain, it’s not right to work with electricity.“ Aber die beiden drehknöpfe an meiner waschbecken-armatur hätte er auch bei dem gewitter montieren können. Typisch deutsch – denke ich jetzt wieder! Ich hab doch Saskias Victorinox multi-tuel mit einer starken zange.
Mit provisorien leben und sich von den damit verbundenen unannehmichkeiten die freude nicht verderben lassen. Das ist etwas, was in Slowenien viele können – erfahre ich. Der golfplatz liegt in Kranskja Gora gleich neben der besagten pension. Ein clubhaus gibt’s noch nicht. Also benutzen die golfspieler – egal wie neureich sie auch scheinen – die sanitären einrichtungen im keller der pension. Ich darf dort mein fahrrad abstellen. Strom gibt’s da nicht. Die wirklich unzumutbar veralteten und schlimm verschmutzten wc kann ich zwar riechen aber erst sehen, als ich abends mit der taschenlampe noch das multi-tuel aus der satteltasche holen muss. Die slowenischen golfer stört’s wahrscheinlich auch, aber es bleibt erstmal so. Was soll’s ? Der golflehrer unterrichtet ja auch auf flip-flops. Typisch deutsch denke ich jetzt wieder, dass mir das auffällt.
Zwei etappen weiter treffen sich abends bei Dominik mindestens 6 seiner freunde und die seines größeren bruders mit ihren nicht zugelassenen mopeds und crossen durch die hügeligen wiesen. Ihre großeltern sitzen auf der bank vor dem haus und sehen zu, sagen nicht viel, aber schütteln lächelnd den kopf über die fahrkünste der jungs. Mir bringt Dominiks mutter noch 5 l frisches wasser im kunststoffkanister und eine flasche eisgekühlter selbst gemischter zitronenlimo. Nachdem ich mir meine nudeln gekocht und mit tomaten gegessen habe, steht Dominik verlegen mit einem kleinen eis am stiel für mich an meinem rad. Ich biete ihm an, mal damit zu crossen. Er lehnt lachend ab. Die mopeds sind viel attraktiver. Die ganze dorfabendszene hat noch etwas von der ungezwungenen natürlichen gemütlichkeit, die ich aus dem Selfkant der späten 50er jahre erinnere.
Morgens um 6 – es hat in der nacht kräftig gewittert – kommt oma schon in den garten. Von ihren dicken tomaten – hier heißen sie auch paradeiser – kriege ich auch eine. Kwalla lepo! Danke! Nach der anstrengenden einkaufstour schmeckt das frühstück besonders: brötchen, marmelade, käse und kaffee – wenn auch selbstlöslicher – an einigen gewohnheiten halte ich noch fest.
Bis mein zelt trocken ist, schreibe ich am tagebuch. Als ich fahre verabschieden mich alle auf dem hof – selbst Dominiks vater, der mir bislang keine aufmerksamkeit schenkte, winkt aus dem hintergrund. Es ist dienstag, 12.30 uhr. Die ganze familie trifft sich gerade zum essen. Auch das ist hier in Matenja vas noch anders. SLOW-food selbst zubereitet mit zutaten aus dem garten. Solange oma ihn noch bestellt und pflegt.