Gegensätze
Nida, 18. 07. 2014
Mein Navi funktioniert nicht in Kaliningrad. „Keine routenfähigen Straßen“ meldet es. Aber es zeigt mir die Himmelsrichtung an, in die Kalinigrads Zentrum liegt. Auf der Brücke über den Pregel erkenne ich rechts unter mir den Königsberger Dom. Auf schrecklich holprigen Gehwegen über Stufen und hohen Bordsteinen komme ich ans ruhige Flussufer und schließlich über eine Stahlbrücke zum Dom und zum Grab Immanuel Kants ganz in rotem Marmor.
Der Dom wird nicht mehr als Kirche genutzt sondern für Ausstellungen, Konzerte und als Museum. Ein kirchlicher Innenraum dieser Größe, Orgel, Kanzel, Seitenschiffe mit Kapellen, aber alles ohne Altäre, ohne Kreuze, ohne Heiligen. Ein ungewohntes Bild. An den Säulen Fotos und Texte zu berühmten Komponisten und Autoren wie Wagner oder Tucholski zwischen gestapelten Stühlen und mit Tüchern abgedeckten Bänken. Ich bin enttäuscht.
Das liegt auch daran, dass auf der Dominsel gar nichts mehr los ist. Sie ist einfach grün belassen oder lieblos gepflastert. In meinem Reiseführer lese ich, dass hier im Vorkriegs-Königsberg alles eng bebaut war, mit Universität sowie Börse auf der einen und Schloss auf der anderen Flussseite das Zentrum der Stadt lag. Nach der Zerstörung ist hier auf der Insel nichts mehr aufgebaut worden. Das war anscheinend politisch gewollt. Dass die Sowjets diese Hochburg des verhassten preußischen Militarismus, nach deren Zerstörung nicht wieder erstehen lassen wollten, kommt ganz besonders darin zum Ausdruck, dass sie noch 1967 das bis dahin mitten in der Stadt als Ruine liegende Schloss schleifen und einen kahlen Platz an dieser Stelle ließen .
Um so mehr freuen mich die drei Kunststudentinnen draußen im Park, die den Dom als Studienobjekt gewählt haben und nun Aquarelle und Zeichnungen dazu anfertigen. Ich finde ihre Arbeiten schon sehr gut. Sie selbst sagen: „No , no, too bad!“, als ich ihre Bilder fotografieren will.
Im weiteren Verlauf der/des Pregel sind neuerdings aber doch herunter gekommene oder brach liegende Speicherhäuser renoviert und mit Wohnungen, Büros und Restaurants aufgewertet worden. Gleich dahinter in der zweiten Reihe am Fluss noch Plattenbausiedlungen mit acht und mehr Stockwerken, deren Fassaden völlig abgeblättert sind. Dieses Nebeneinander von Neu und Alt, von Neo-Kapitalismus und alt-sowjetischer Misswirtschaft, das ist eins der durchgehenden Merkmale dieser Stadt.
Aber sie sieht an vielen Stellen wesentlich freundlicher, grüner, aufgeräumter und ruhiger aus, als der Autor meines Reiseführers sie noch gesehen hat. Aber das Buch ist auch schon von 2008. Und anscheinend weiß er sehr genau, wie das Vorkriegs-Königsberg ausgesehen hat und vermisst vieles. Die Stadt hat ein schönes klassizistisches Theater, mehrere Türme und Tore der mittelalterlichen Stadtbefestigung sind erhalten auch die Börse. Die orthodoxe weiß-goldene Christus-Erlöser-Kathedrale ist sehenswert, auch das Bernstein-Museum mit dem 34m dicken Dohnaturm.
Shopping-Mals und Einkaufsgalerien sind keine kulturell hoch angesehenen Einrichtungen. Aber deren Neubau ist doch auch ein Zeichen für den Aufschwung den die Stadt nimmt, nachdem sie jahrzehntelang als militärisches Sperrgebiet zu verkommen drohte.
Die Abendstimmung im „zentralen Park für Erholung und Kultur“ gefällt mir besonders gut. Hunderte, nein sicherlich tausende sind hier in entspannter, meist sportlicher Weise unterwegs. Angeln und rudern auf dem See. Joggen, skaten, biken vor allem mit Dirtbikes. Streetball und streetsoccer auf Mini-Spielfeldern, die ganzen jungen Leute bewegen sich mit Spaß, lachen, flirten. Dazwischen sitzen und plaudern die Alten auf Bänken oder in ihren Rollstühlen.
Junge Familien tummeln sich auf den knallbunten Spielplätzen. Ein lauschiges Fischrestaurant mitten im Park ist recht gut besucht. Die Dönerbude um die Ecke aber auch. Daneben die sechs Dixie-Toiletten stinken wie die Pest. In der Straße sind die Häuser ungepflegt und in miesem Zustand. Eine Straße weiter sind sie gleich alt, aber top in Schuss. Kaliningrad ist jung und alt, an machen Stellen marode und an einigen Orten auf einem von den Bewohnern initiierten Weg in eine neue Zeit.
An der Straßenbahn lässt sich das gut ablesen. Sie ist eine vor-swojetische Einrichtung, elektrobetrieben, also umweltfreundlich. Manche ihrer Wagen sind uralt und dringend zu überholen, andere jünger und schon mit Werbung versehen. Der sinnvolle Schritt in eine wirkliche Modernisierung der Tram scheint aber noch nicht realisierbar.
Keine 100 Meter nördlich dieses so belebten Parks finde ich meine Villa Severin. Ein schönes Haus aus den 30er Jahren, blumiger Garten, Südost-Terrasse mit Korbstühlen, 4 Zimmer mit Balkon. Ich hab das „Studentenzimmer“ ganz oben mit der halbrunden Außenterrasse. Die junge Dame am Empfang hat am Kölner Südfriedhof gewohnt während ihres Studiums. Ihr Deutsch ist astrein. Möchte sie in Kaliningrad bleiben? „Ja“, sagt sie, „ erstmal. Aber ich liebe Köln.“