Tekapo
Auto an Auto auf dem highway 79. Nicht nur die Seen Tekapo und Pukaki, vor allem auch Mount Cook und die Gletscher zählen zu den Attraktionen der Südinsel. Zum höchsten Berg Neuseelands führt diese Straße. Auffällig wie viele Besucher aus China hier unterwegs sind. An allen Aussichtspunkten, an jedem Ausflugscafé, auf den Rastplätzen pausieren sie in Gruppen, fotografieren alles, vor allem sich selbst in verschiedenen, oft affektiert wirkenden Posen.
Bis Fairlie geht es ständig rauf und runter. Eine tolle Strecke, wegen des Verkehrs für Radfahrer, von denen ich heute morgen einige treffe, kein Vergnügen. Einmal geht’s so lang und steil runter, dass ein Pärchen in Canada-Trikots an mir vorbei knallen, obwohl ich schon mit 50 runterrolle. Wenige Minuten später kommt mir Mike aus England schiebend entgegen. Sein Knie schmerze, er habe einfach in den letzten Tagen zu viele Berge gemacht, erzählt er. Heute wären es schon wieder viele gewesen. Er fährt meine Strecke zwar in entgegen gesetzter Richtung. Dennoch ahne ich, was mir bevorsteht.
Im Reiseführer wird eine Bäckerei in Fairlie empfohlen. Dort esse ich eine besonders leckere Pie „pork & appel“: ein warmes Törtchen mit magerem Schweinefleisch und Apfelsirup gefüllt. Eine Schlange vor der Theke zeigt, wie beliebt der Laden ist. Die Terrasse der Bäckerei ist voll: eine 8 köpfige Radlergruppe aus Sydney, die sich per Auto und Anhänger mit den bikes zum Startpunkt des ‚Alps to Ocean Trails‘ bringen lässt, ein älteres Pärchen und an den vier restlichen Tischen chinesische Familien mit Kindern. Mit den Aussies spreche ich länger. Es ist schon drei und ich muss noch 42 km. Die Sonne sticht. Kaum ein Lüftchen weht.
Ab Fairlie ist der ‚Starlight Highway‘ noch verkehrsreicher. Ein Polizeiauto hält neben mir. Ein freundlicher Polizist bittet mich meine neongelbe reflektierende Weste anzuziehen, die ich hinten auf den Taschen gut sichtbar untergeschnallt habe. Ich wäre in meinem schwarzen Trikot bei dieser starken Sonneneinstrahlung an manchen Stellen, wo Licht und Schatten wechseln, für Autofahrer schlecht zu sehen. Aus dem Auto holt er noch ein orangefarbenes Flatterband und bindet es an meine Taschen. Eine Flasche Wasser bringt er mir außerdem mit. Er meint bis zum Tekapo See würde ich die noch brauchen. Der Burkess-Pass wäre so steil, vor allem an so einem warmen Tag.
Der Pass ist Grad mal 700 m hoch. Ich bin schon auf über 350 m. Will er mir Angst machen? „Nein!“, meint er, als ich ihn danach frage, ich würde das schon schaffen.
Auch das noch! Hinterreifen platt. Schon wieder! Steckt denn da doch noch etwas drin? Ich kontrolliere überaus gründlich. Nichts zu finden. Es ist kurz vor 16 Uhr, als ich wieder aufsteige.
Der Pass kündigt sich an. Die Straße steigt immer mehr. Das Sonne verzieht sich hinter Wolken. Ich freu mich über die Abkühlung. Zu früh. Denn mit den Wolken fegt von Westen heftiger Wind in das Tal, sobald die Hügel ihm Durchlass gewähren. Etwa zwei km vor dem Pass dreht die Straße nach Westen. Der jetzt noch stärkere Wind bläst mir genau entgegen. Die Steigung ist nicht so schlimm. Soweit ich darauf achten kann, bleibt sie unter 8 %. Die Fahrspuren werden enger. Der Randstreifen fällt weg. Stattdessen ein halbrunder Betonrinnstein neben mir. Darin Steine, Scherben und vertrocknete Opossum-Kadaver. Dahin will ich nicht abrutschen. Die vorderen Taschen würden vielleicht anstoßen. Autos überholen mich ständig, wenn auch vorsichtig, kommen mir doch sehr nahe. Der Wind wird extrem, je näher ich der Kuppe komme. Mit 6 kmh schlenkere ich die letzten paar hundert Meter bis oben. Mehrfach hab ich Angst in die Rinne geblasen oder vom Sog eines Lkw mitgezogen zu werden. Den letzten Kilometer werde ich als einen der unabgenehmsten meiner Fahrten erinnern. Dabei bin ich grad mal 700 m hoch.
Nach dem Pass rechne ich mit einer langen Abfahrt zum See. Doch weit gefehlt. Kurz geht’s bergab. Die 20 restlichen km bleibe ich auf einem offenen Hochplateau zwischen 600 und 650 m. Der Sturm hat hier freies Spiel mit mir. Heftig kämpfend schaffe ich das Stück in zwei Stunden. Endlich erlöst habe ich den türkisfarbenen See vor mir. Für ein paar Fotos reicht das Licht noch.
Um halb acht finde ich mit Annemieke vom i-site office das letzte Bett in einem Hostel am See. Fünf wahrscheinlich ganz junge Leute mit mir in einem Zimmer. Ist mir heute Abend egal.
Annemieke hatte mich schon gewarnt. Der Supermarkt schließt um 20.00 Uhr, aber auch die Rezeption im Hostel, das außerhalb des Ortes am Seeufer liegt. Beides schaffe ich nicht mehr. Dann koch ich mir halt die Spirelli mit der Pastasoße, die ich noch in der Tasche habe. Um diese Zeit ist in der Küche einiges los. Heißt erstmal ein sauberes Spülbecken suchen, einen Topf spülen, eine freie Elektroplatte finden und einen Sitzplatz sichern. Durst habe ich auch. Nicht einmal einen Getränkeautomaten gibts in der Unterkunft. Mein Rad hab ich schon in einem Schuppen abgeschlossen. Ich lauf nicht mehr zurück ins Dorf. Gefühlte 1,5 l Leitungswasser kippe ich in mich rein. Im Bett krieg ich von den anderen nur noch mit, wie ein amerikanisches Pärchen das Hochbett neben mir frei lässt. Es ist ihnen einfach zu lästig das obere Bett zu beziehen, glaub ich. Die zwei kriechen lieber zu zweit in die Koje unter mir und schauen dort Musikvideos auf dem smartphone.