Whanganui River Road

„Mountains to sea“ heißt das mehrtägige Outdoor-Angebot, bei dem man vom Tongariro National Park bis Wanganui entlang eines der längsten Flüsse Neuseelands Mountain biken, Kanu fahren, wandern, im Jetboat sitzen oder das alles kombinieren kann. Für meine ‚Berge zum Meer‘ Tour rechne ich mit zwei Tagen. Nicht ganz geklärt sind zwei Fragen:  – Ist die Whanganui River Road mit meinem Rad komplett fahrbar oder muss ich Schotterstücke schieben? – Kann ich in dem Nonnenkloster in Jerusalem übernachten oder muss ich ‚free campen‘ ?

Am Freitag morgen fange ich früh und gut gelaunt an. Von über 900 m Höhe runter auf vielleicht 150 m, wo ich schlafen möchte. Das kann mal ein leichter Tag werden. Die ersten 35 km bis Raetihi rolle ich dementprechend locker abwärts durch ein breites Tal, das nur an dem Makatote Viadukt eng wird und mich ein paar hundert Meter schwitzen lässt.

Inzwischen ist der Morgendunst verzogen. Die Sonne knallt schon jetzt mit über 26 ° in das offene Plateau, in dem das erste schon fast reife Getreidefeld auffällt. Immer wieder überquere ich kleine Bachläufe, überall blüht es.

Von Raetihi sehe ich nur eine verschlafene Straßenkreuzung mit etwa 10 Geschäften und ein paar ältere Wohnhäuser. Aber es gibt ein ‚tourist-information-centre‘. Der freundliche ältere Herr dort, kann mir glaubhaft versichern, dass die River Road über die gesamte Distanz asphaltiert ist. Zur Zeit müsste ich nur mit einer Reihe von Baustellen rechnen. Und von der ’nonery‘ – wie er das Kloster nennt – gibt er mir aus dem Telefonbuch (!!!) die Nummer der ’sisters‘. Sofort spreche ich mit einer freundlichen Dame, die sich freut, mich heute Nachmittag gegen 16.00 Uhr begrüßen und für eine Nacht unterbringen zu können. Besser kann’s doch gar nicht laufen.

Doch! Die jetzt folgenden 23 km auf der Pipiriki Road sind noch einmal eine Klasse besser, wenn man von landschaftlich schönen, ruhigen Straßen schwärmt. Tief eingeschnitte, schmale Bachtäler, schmale Brücken, hohe Felswände, üppiges Grün an steilen Böschungen aus denen grünliches Wasser über bemooste Steine zum Fluß plätschert.

Kein Dorf, keine Siedlung, kein Haus bis Pipiriki. Der verschlafene Ort liegt direkt am Whanganui. Früher hat’s sogar ein Hotel gegeben. Heute wirkt der Ort nicht ausgestorben, obwohl ich niemsnden sehe. Es gibt anscheinend noch Kinder im Dorf. Die Schulbushaltestelle wirkt neu, der Spielplatz dagegen ungenutzt.

Der kleine Frirdhof mit dem ärmlich wirkenden Wiesenzaun reizt mich zu einem Fotostopp.

  

Pipiriki liegt nur noch ca. 90 m über dem Meer, wenn mein Garmin nicht lügt. Bis Jerusalem – wo ich im Convent übernachten will, sind es noch 12 km auf der viel gelobten River Road. Jetzt wird das Sträßchen noch schmaler, die Brücken noch enger, die Blicke auf den Fluß und die ihn umgebenden Höhen noch spektakulärer.

Die grünen bewachsenen oder kalkweißen Steilufer kommen noch näher, der Abgrund zum Fluß auch. Autos kommen hier nicht mehr, denke ich. Da liegt schon eins verlassen tief unten in der Böschung.

 

Als ich mich zu einem Aussichtspunkt hoch gedrückt habe, picknicken mit Blick auf den tief unten mäandernden Fluss Cynthia und Paul aus England. Sofort holt er einen dritten Stuhl, sie einen weiteren Teller mit Oliven, Tomaten, Schafskäse, Crackern und Zaziki. Frischen englischen Frühstückstee bekomme ich auch. Sie erzählen von ihren Reisen auf Neuseeland, nach Samoa und Tonga. Wieder zuhause werden sie sich ein ‚mobilhome‘ kaufen, denn sie sind jetzt beide ‚retired‘.

Die Pause hat mir gut getan. Nur noch 4 km bis Jerusalem sagen die beiden. Und der Ort wäre so schön ruhig. Schon bald sehe ich die rote Kirchturmspitze aus dem dichten Grün leuchten. Den Schotterweg zum Convent muss ich hoch schieben. Es liegt herrlich in der Sonne, oberhalb der vier oder fünf Häuser, die diesen großen Namen tragen. Der gepflegte Garten voller Blumen und Obstbäume, eine Modanna, Bänke zum Ruhen und Beten. Von den reifen saftigen Pflaumen esse ich eine, während ich vor dem Eingang warte. Zwei Stunden bin ich fast zu früh. Drum geh ich erstmal in das kühle Kirchlein und sage Dank für diesen wunderschönen Tag.

Wenig später führt mich eine ältere Frau durch das Convent. Mit ihrem Mann hilft sie der einzig hier noch lebenden Nonne, Convent und Garten in diesem  früheren Zustand möglichst unverändert zu erhalten, zu pflegen und als Gastunterkunft zu bewirten. Museum und Gästehaus, Andenken und Würdigung der Nonnen und ihrer wohltätigen Arbeit über mehr als hundert Jahre, aber auch gastfreundliche Unterkunft für jedermann, so wollen sie bestehen können. Das ist hier, wo kein Mobilfunk und kein Internet funktioniert, gar nicht so leicht. Das Erbe der Ordensgründerin hoch halten und weiter geben – auch in diesen Zeiten des weltweiten Religionsverlustes, den die Schwester beklagt – ist das Anliegen der drei. Als abends zwei müde Paddler mit ihren wasserdichten Tonnen vom Fluss hoch kommen und fragen, ob sie im Klostergarten ihr Zelt kostenlos aufschlagen dürfen, erlaubt die im Garten jätende Schwester das nicht nur,  sondern bittet mich, die jungen Männer Küche und Toilette nutzen zu lassen und ihnen das Convent zu zeigen, sofern sie Interesse haben. Genau wie ich sind die zwei erstaunt, ja verwundert, welch musealer ‚Duft‘ hier in all den Räumen weht, aber auch welch historisch christlicher Geist das Convent beseelt, das zeitweise Kinderheim, Schule und  Missionshaus war.

Nach einer Nachtruhe, die nur vom Schrei einer Eule wenig gestört wurde, und meinem üblichen Obstsalat/Porridge-Frühstück, zu dem ich sowohl die Milch als auch den Tee des Hauses nehmen konnte, mach ich mich gespannt auf den weiteren Verlauf der River Road und ein wenig betrübt auf den Weg. Solch einen friedfertigen Ort wie das St. Joseph in Jerusalem werde ich in Neuseeland kaum noch einmal finden.

Weiter in Flussnähe bergab und bergauf strampele ich 50 km. Ganz wenige Wohnmobilisten kommen mir entgegen, hin und wieder jemand, der in einer der vier Minisiedlungen wohnt, die ich passiere. Sogar einen ‚Shop‘ mit kühlen Getränken gibt es in Ranana und diese Maori Versammlungshaus. Ein niederländisches Radlerpaar begegnet mir  und fünf Rennradfahrer, von denen einer mich warnt vor dem Aramoana Hill. Wegen ihm macht der Fluss hier eine starke Biege und fließt wieder einige Km nordwestwärts, während die Straße über den Berg zum highway 4 klettert und fällt, wo sie dann wieder am Fluss entlang führt.

Den Hinweis, dass ich jetzt auf der SH 4 bis Wanagui bleiben und dem Verkehr Rechnung tragen soll oder mir ein Taxi rufen könnte, halte ich für übertrieben, angesichts des lahmen Verkehrs am Samstag Nachmittag.

Enttäuscht bin ich nur, dass die Flussmündung mich wieder 6 km aus der Stadt raus führt, ehe ich endlich am Meer bin. Schwarzer Sand, alles voller Treibholz, glühende Sonne, nirgendwo Schatten. Egal. Rad und Taschen anketten, Trikot aus und rein in die Wellen.

„Mountains to Sea“ – bisher das schönste Stück Neuseeland.