Klapp-Aussies

Pärnu, 26. 07. 2014

In  Riga sieht und hört man Gäste aus fast allen Ländern dieser Erde. Auf dem „Riga-City-Camping“ treffen sich auch Reisende vieler Nationen, vorwiegend aber Europäer. Dabei komme ich mit  Radfahrern schnell ins Gespräch. Einige von Ihnen sind schon besonders:

Günter z.B. ist auch Ruhestands-Radler, kommt vom Bodensee und radelt seit Juni den EuroVelo 1 (Calais-Petersburg), der hier in Litauen identisch ist mit dem EuroVelo 10, dem ich in etwa folge. Günter hat viel Zeit und nimmt sich auch. Er hat die Route nicht nur auf dem GPS sondern auch als Buch mit allen Sehenswürdigkeiten und lässt davon kaum eine aus. Zeit hat er auch für Gespräche mit anderen  Reisenden. Er sitzt abends beim Bier sowohl mit jungen deutschen Pfadfindern zusammen wie auch mit australischen Radfahrern und estnischen Familien. Er schleppt nicht nur ein zweits Paar Schuhe in einem Ortliebsack mit, sondern auch ein komfortables Vaude-Zelt, in dessen einen Kubikmeter großen Vorraum er jeden Morgen die gleiche Unordnung wieder zusammen packen muss. Allerdings nimmt er sich auch dafür Zeit. „I braauch halt maei zwoie Stunde am Morge,“ lacht er ganz zufrieden und lässt sich gemütlich treiben in  seiner eigenen Freude an dieser ersten großen Radreise als Rentner.

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Günter und Annemarie

Ganz anders Christoph, zwischen 30 und 40 Jahre alt, Langzeit-Radler aus Reutte (Österreich) der dort im April gestartet ist, Mittel- und Ost-Europa durchquert hat und jetzt nach Tallinn unterwegs ist. Von dort hat er einen Flug nach Fort Lauderdale (USA) gebucht hat. Ab da will er Mexiko und andere mittelamerikanische Staaten bereisen. Er ist schon sehr weit rumgekommen – meist als Backpacker, aber auch oft als Radler: Nepal, Pakistan, Iran, Kasachstan und in Afrika Marokko, Mauretanien – dort hat es ihm bisher am besten gefallen –  Senegal und Gambia, wenn ich‘s richtig behalten habe. Christoph ist ein ganz eigenwilliger Reisender, der am liebsten in der Natur zeltet und von dem lebt, was er dort findet oder was gastfreundliche Menschen ihm geben. So lobt er die masurischen Dorfbauern, die ihn, wenn er nach Wasser fragte, mehrmals einluden zum Essen und  noch Proviant mitgaben. Hier in Riga fühlt er sich gar nicht wohl. In die Stadt fährt er nur, weil er neues Petroleum für seinen Kocher braucht. Wir liegen nach seiner Ankunft länger nebeneinander im Gras und velosofieren über unser Reisen und das Immer-weiter-wollen. Während ich darin auch eine Art Flucht vermute, vor dem was man zuhause nicht mag, fühlt Christoph sich eher auf der Suche nach dem, was ihm das Leben in Tirol nicht geben kann. Bis wir merken, dass beide Antriebe sehr miteinander zu tun haben. „Ich bin ein amrer Schlucker. Ich besitze das, was da an meinem Rad ist. Ich hab keinen fotoapparat, kein Handy und keinen Computer.“, erzählt er. „Glück ist immer im Moment“, fasst er seine ganze Lebensart zusammen. Später als es auf dem Platz voller wird, kocht er allein sein Süppchen und bleibt für sich. Morgens um 5, als ich zum Pinkeln raus muss, ist er schon startklar für die letzten Etappen Richtung Tallinn/ Amerika. Ihn bitten sich fotografieren zu lassen, kam mir unmöglich vor.

 

Doch die beiden Begegnungen, die ich an den zwei auf einander folgenden Tagen in Riga hatte, konnte ich erst selbst nicht glauben:

Am ersten Tag in Riga zelten neben mir in einem hochwertigen aber von den Ausmaßen her bescheidenen Zelt Bill und Gwen, die mir in den höchsten Tönen vorschwärmen wie praktisch (in Bussen, Zügen und selbst auf Eselskarren) seit Jahren ihr  „folding-bikes“ seien. Sie kommen fast jeden Sommer von Australien  nach Europa – auch weil das Leben hier so viel günstiger sei. Heut würden sie ja nur noch in flache Regionen reisen. Bis 2010 hätten sie Italien, Spanien, die französische Alpen und die Schweiz abgestrampelt. Deutschlands Süden fanden sie besonders schön. In Köln waren sie auch. Für ein Foto hat Bill kaum Zeit. Aber Gwen erzählt mir voller Stolz, dass ihr Mann inzwischen 80 (!) Jahre alt sei.  Die beiden reisen am nächsten morgen weiter Richtung Litauen.

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Gwen und ihr 80jähriger Bill

Als ich am zweiten Tag aus der Stadt zurück komme, steht ein anderes kaum größeres Zelt neben meinem und wieder liegen zwei Klappräder daneben. Diesmal ein schwarzes und ein rotes. Sie gehören einem älteren Paar, Rod und Annemarie Driver aus Canberra, Australien.

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Rod mit dem Klapprad seiner Frau

Sie kommen auch fast jedes Jahr nach Europa, haben zuerst Irland und Großbritannien bereist, dann den gesamten Kontinent, waren schon mal  im Baltikum auch in St. Petersburg. Haben Freunde in Tschechien, Belgien und den Niederlanden. Annemarie schwärmt für Andre Rieu und hat ihn beim Konzert auf dem Vrijthof vor zwei Jahren erlebt. Sie erzählen viel von Pannen und kleinen Unfällen, die aber immer gut ausgegangen sind. Uns „Youngsters“  (Rod ist schon länger 70) raten sie zur Erhaltung der Gesundheit und der Fitness: Keep cycling!  Von Bill und Gwen wissen sie nichts. Als ich ihnen von den beiden erzähle und das Foto zeige, sind sie sehr erstaunt und bedauern, dass ich die E-Mail-Adresse der beiden nicht habe. „Klapprige Aussies“ wollte ich den Artikel erst überschreiben. Aber wäre nicht nur unhöflich sondern auch unpassend gewesen.

Übrigens zwei Tage später kurz vor Tallinn raf ich diese beiden Radfahrer im Schatten einer Bushalte.

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Die Südkoreaner haben wohl die weiteste Anreise per Fahrrad gewählt, die von Osten her möglich ist: Sie sind mit einem Schiff nach Wladiwostok gereist und ab da geradelt. Radfahern ist nicht ihr Hobby, sondern Surfen. Nach Portugal zu irgendeinem besonders wellenträchtigen Surfertreffen im Spätsommer/Herbst sind sie unterwegs. Allerdings geben sie zu, dass sie in der Mongolei wie auch in Sibirien Busse und Züge genommen haben wegen der unbefestigten oft schlammigen Straßen. Interessanterweise brauchen die beiden für Russland kein Visum und hoffen auch durch Kaliningrad nur nach Vorlage ihrs Passes radeln zu können. Zur Orientierung verließen sie sich ganz auf das GPs im Iphone. Und ihre boards haben sie sich direkt nach Porto schicken lassen.